Wort zum Tage
Natur in der Stadt
29.10.2015 05:23

Natur in der Stadt: Alleen, Parks, Vorgärten, begrünte Fassaden, Balkonkästen, Moos auf Mauern, Unkraut zwischen Gehwegplatten ... Natur in der Stadt hat viele Gesichter: Die Tauben am Bahnhof, die allerletzten Wespen im Biergarten und der Fuchs, der durch die Innenstadt schnürt. Die Kaninchen auf der Verkehrsinsel, die Nachtigall am S-Bahnhof und die Ratten am Kanal. Natur in der Stadt, mitunter kommt mir das alles vor wie Grüße der Wildnis, die einmal war, lange bevor es eine Stadt gab. Und die zurückkehren wird, wenn die Städte verschwunden sind. Natur in der Stadt – das sind eigentlich auch die Menschen. Doch an die denkt man eher nicht, wenn es um Natur geht. Dabei sitzt auch der Städter gerne unter Blattwerk und lauscht dem Wind. Manche gärtnern sogar. Und leise flüstert die Wildnis: Weißt du noch? Und noch leiser: Ich kann dich fressen.

 

Die Bibel tradiert den schönen Gedanken, dass Gott die Wildnis geschaffen hat – mit allem was kreucht und fleucht. Mensch inklusive. Es geht nicht um Urknall contra Sechs-Tage-Modell. Die Geschichte mit der Schöpfung ist vielmehr eine Qualitätsaussage. „Gut, sehr gut", sagt Gott am Ende eines jeden Schöpfungstages. Und das kann man ja ruhig mal ein paar Augenblicke auf sich wirken lassen: Es ist gut. Es war gut. Die Wildnis, der Kosmos, Tag und Nacht, Pflanzen, Tiere, Sonne, Mond und Sterne. Gut. Und der Mensch, Mann und Frau, – auch gut. Viele wissen das. Und fühlen es, wenn uns ihnen die Natur in ihrer Schönheit naherückt. Eine Blüte. Ein Tier. Oder ein Mensch.

Doch es hält immer nur einen Wimpernschlag. Auch in der Bibel: Denn mit dem Menschen drängt sich etwas anderes in die Wildnis: "Macht euch die Erde untertan". Und schon sind Männer und Frauen und Wildnis wie Fremde. Im zweiten Kapitel sprechen die biblischen Autoren bereits lieber von einem Garten, wenn es um Natur geht. Und der Mensch, das Wortwesen, wird der, der den Tieren und Pflanzen im Garten Namen gibt. Und dann geht das Leben jenseits von Eden erst richtig los. Der Mensch – Natur, Kultur und Konflikt. Nachzulesen in den ersten drei Kapiteln der Bibel.

Natur in der Stadt: Schon lange leben die Menschen massenhaft in Städten. Sie suchen ihr Zuhause an einem Ort, an dem die Wildnis nicht mehr als ein Zitat ist. Gezähmt. Die Namen für Fische, Vögel, Bäume und Kräuter kennen viele nicht mehr. Der Baum neben der Bushaltestelle ist ein Fremder. Nur die Sehnsucht ist eine alte Bekannte: die Sehnsucht nach dem Paradies, nach der Wildnis, die so vertraut ist, dass man ihre Namen kennt.