Gegenseitige Achtung

Morgenandacht
Gegenseitige Achtung
23.04.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Jost Mazuch

Das „Stadtviertel der gegenseitigen Achtung“ war unser Ziel. Wir waren zu Besuch in Breslau, polnisch Wroclaw, in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Mit Kölner Jugendlichen waren wir in unserer Partnergemeinde, der evangelischen Kirchengemeinde in Breslau eingeladen. Über die Geschichte Breslaus hatten wir schon einiges erfahren.

 

Kaum vorstellbar, dass die heute so idyllisch wieder aufgebaute Stadt am Ende des 2. Weltkriegs fast komplett zerstört war. Von der deutschen Wehrmacht zur Festung erklärt, wurde sie noch am Kriegsende heftig umkämpft. Zehntausende Menschen starben. Die überlebten, wurden in der Zeit danach vertrieben: als Folge des Krieges wurde Breslau polnisch. Polnische Zuwanderer ersetzten die deutsche Bevölkerung, die meisten von ihnen waren ihrerseits aus Ostpolen vertrieben. Die jüdische Gemeinde – sie war vorher die drittgrößte in Deutschland -  war beinah vollständig von den Nazis verschleppt und ermordet worden.

 

Diese Vergangenheit ist für unsere Jugendlichen weit entfernt. Doch das Wissen darum hilft ihnen, die Stadt zu verstehen.  Heute lebt in Breslau eine Bevölkerung unterschiedlichster Herkunft, auch in religiöser Hinsicht. In der alten evangelischen Kirche wurde das deutlich: „Unsere Gemeinde hat 650 Mitglieder“, erfuhren wir von Gastgeber Janusz Witt, lange Kirchenältester der evangelischen Gemeinde. Nur etwa ein Prozent der Bevölkerung ist evangelisch; vor dem Krieg waren es über neunzig Prozent. „Aber jetzt zeige ich euch unser Stadtviertel der gegenseitigen Achtung“.

 

Während wir über die belebte Wallstraße am Rande der Altstadt gehen, erzählt  Janusz Witt: „Seit 1995 gibt es dieses Projekt. Es passierte damals bei einem Festgottesdienst: da flog in der katholischen Kirche ein Stein durch eine Fensterscheibe. An diesem Gottesdienst nahm auch eine Delegation der jüdischen Gemeinde teil und auch der protestantischen und orthodoxen. Und da entstand die Idee: Wir wollen mehr voneinander lernen, wollen Vorurteile abbauen und uns als Gemeinden besser verstehen.“

 

Über einen kleinen Platz erreichen wir die jüdische Synagoge. Heute ein wunderbar restauriertes Gebäude, hat sie eine leidvolle Geschichte hinter sich. Sie überstand die Nazi-Pogrome und den Krieg als einzige der Breslauer Synagogen. Der kommunistische polnische Staat beschlagnahmte sie in den sechziger Jahren. 1995 wurde sie der Gemeinde offiziell zurückgegeben, seit 2010 erstrahlt sie komplett restauriert im neuen Glanz. Jerzy Kichler, der langjährige Gemeindeleiter, führt uns herein. Er hatte damals den Anstoß gegeben: „Wir haben hier eine katholische, eine evangelische, eine orthodoxe Kirche und eine jüdische Synagoge sozusagen an einer Straße. Machen wir daraus etwas! Starten wir ein Projekt, das die gegenseitige Achtung zwischen den verschiedenen Glaubensrichtungen lehrt.“ Und sein Freund Janusz Witt ergänzt: „Wir sind Brückenbauer. Wir sind auf verschiedenen Wegen zu Gott. Die Wege unterscheiden sich zwar, doch sie alle haben das gleiche Ziel. Darum muss es doch möglich sein, dass wir uns unterwegs treffen.“

 

Und so laden sich die vier Gemeinden heute gegenseitig zu ihren Festen ein. Sie veranstalten gemeinsame Konzertreihen und Vorträge über die verschiedenen Traditionen. Und in einem besonderen Schulprogramm lernen Kinder die unterschiedlichen Glaubenswege kennen.

 

Die Kölner Jugendlichen nehmen die Idee mit nach Hause. Ein ganzes Stadtviertel, das sich gegenseitige Achtung vornimmt – wäre das nicht auch etwas für unsere Stadt? Respekt voreinander, das haben sie verstanden, müssen Menschen immer wieder neu lernen; Respekt ist ein sensibles Gut. Auch in der weltoffenen Stadt Breslau hörten wir von rechtsextremen Ausschreitungen und Hetzparolen gegen Einwanderer. Umso wichtiger, dass die Religionen beharrlich für Respekt und Achtsamkeit eintreten. Vor kurzem haben Juden und Christen im Viertel der gegenseitigen Achtung zusammen mit Muslimen gebetet: und zwar für die verfolgten Christen im Irak und in Syrien.

27.12.2015
Pfarrer Jost Mazuch