Morgenandacht
Genug ist genug
15.12.2016 05:35

„Wann ist es eigentlich genug?“ das frage ich mich immer öfter. Besonders jetzt im Advent. Da ist es eigentlich nie genug. So viele Kollegen schleppen sich derzeit krank zur Arbeit oder bleiben ganz zu Hause, weil sie einfach nicht mehr können. Aber die Arbeit muss trotzdem gemacht werden. Und besinnlich soll es doch auch noch sein, im Advent. Und Plätzchen backen sollte man, Karten schreiben, originelle Geschenke finden und den Festbraten organisieren. Da dürfte der Tag ruhig mal 48 Stunden haben.

 

„Wann ist es eigentlich genug?“ Die Frage hat Martin Luther sein ganzes Leben lang umgetrieben. Als begabter Junge, der er war, hat sein Vater ihm jede Ausbildung bezahlt, die gut und teuer war. Schließlich sollte er mal die Erzbergwerke übernehmen, die der Vater gepachtet hatte. Silbergewinnung war ein höchst lukratives Geschäft. Und ein Jurastudium war da gerade recht. Martin Luther ist im wahrsten Sinn des Wortes mit dem Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen. Und kaum war er da, hat man ihn mit Erwartungen überschüttet.

 

Was immer er angepackt hat, es war nie genug. Zu Hause nicht, wo sein Vater mit strenger Hand regiert hat. In der Schule nicht, wo die Lehrer mit der Angst vor der Hölle die Kinder zu absolutem Gehorsam dressiert haben. Und er selber war auch nie zufrieden mit sich. Angst war das Lebensgefühl der Menschen damals. Angst vor der Pest, vor Hunger und Krieg und vor allem: Angst vor Gott und seinem Gericht. Vor dem man dann am Ende als verdorbener, gottloser Mensch dasteht und ewige Höllenqualen erleiden muss.

 

Kurzum: Es war nie genug. Luther dachte: wenn ich ins Kloster gehe, dann entkomme ich vielleicht dem Zorn des Vaters, dem Zorn Gottes und dem Zorn dieser gnadenlosen Gesellschaft. Aber im Kloster ging es gerade so weiter. Stundenlang hat er gebetet und gefastet. Nicht nur für sich und sein Seelenheilt. Auch für Andere, gegen Bezahlung versteht sich. Von diesen Einkünften haben die Klöster damals auch gelebt. Aber egal wie viel und wie lange Luther gebetet hat, es war nie genug. Es hätte immer noch mehr sein können. Oder sollen.

 

Und so hätte Luther sich wohl immer weiter abgearbeitet im Hamsterrad des „Genug ist nicht genug“. Wenn – ja wenn er eines Tages nicht auf folgende Sätze in der Bibel gestoßen wäre. „Das Evangelium (...) ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben (...). Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben…; wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben.‘“

 

Und Luther hat verstanden: Lass es genug sein. Du kannst dir kein gutes Gewissen erarbeiten. Und du kannst dir auch kein Selbstbewusstsein antrainieren. Es wird immer einer kommen, der besser ist. Der dir zeigt, dass es nicht genügt. Deshalb: Lass es genug sein. Versuch es mit Vertrauen. Vertraue darauf, dass Gott dich liebt und annimmt wie du bist. Vertraue darauf, dass du nicht in das Loch fallen wirst, vor dem du solche Angst hast: dass Andere dich aussortieren, dass sie dich nicht mehr mögen, dass dich keiner mehr mag. Hab Vertrauen, dass Gott da ist und dich hält. So wie eine Mutter da ist für ihr Kind, auch wenn das noch gar nichts leisten kann.

 

Martin Luther hat den Sprung gewagt. Den Sprung ins Vertrauen. Oder war es Gott, der ihn ins Vertrauen gezogen hat? Jedenfalls hat er auf einmal gemerkt, wie frei er ist, wenn er sich geliebt weiß. Von der Zeit an konnte er jedenfalls sagen: Genug ist genug. Was für ein Geschenk!

 

Das war die Wende im Leben des Martin Luther. Und es war der Anfang. Der Anfang einer ganzen Bewegung, die unsere Geschichte verändert hat bis heute. Die Reformation: die Rechtfertigung aus Glauben allein. Sie wirkt bis heute, wo sich so viele abarbeiten und darüber stöhnen, dass sie alles gar nicht schaffen können. Weil im Advent genug einfach nicht genug ist.

 

Deshalb hört die Reformation auch nie auf. Die in der Kirche und die von uns. Wenn Sie wie ich mal wieder nicht fertig werden, weil Sie es einfach gut machen, besser machen wollen, dann sei Ihnen gesagt: Du bist Gott genug. Deshalb hab’ Vertrauen und lebe.