Morgenandacht
Gastfreundschaft
21.09.2015 06:35

Gott kommt als Fremder, als Überraschungsgast. Er steht vor der Tür, braucht Unterkunft und Essen. Davon erzählen viele alte Geschichten. In der Bibel wird von Abraham und Sarah berichtet, bei denen eines Tages drei fremde Männer vor dem Zelt stehen. Die alten Eheleute bitten sie herein und bewirten sie – und erst im Nachhinein erkennen sie, dass diese drei Männer Gottes Boten waren: Engel, die ihnen Gottes Segen gebracht haben.

 

Gott kommt als fremder Gast. Und die alten Geschichten sagen, dass diejenigen selbst Gutes empfangen, die unbekannte Fremde aufnehmen und freundlich bewirten. Gastfreundschaft, so sieht es die Tradition, dient nicht nur den Gästen, auch die Gastgeber haben etwas davon.

 

Jetzt sind es viele Menschen, die in Deutschland so etwas wie Gastfreundschaft suchen. Sie kommen aus der Not ihrer Heimat in unsere Städte und Dörfer. Und sie werden an vielen Orten mit großer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft empfangen. Als die Züge aus Ungarn mit tausenden Flüchtlingen ankamen, standen an den Bahnhöfen spontane Empfangskomitees. Sie zeigten: Ihr seid hier willkommen!

 

So viele Menschen wollen ganz selbstverständlich helfen, wollen die Flüchtlinge unterstützen, damit sie hier in Deutschland, in einer für die Flüchtlinge ja ganz fremden Umgebung, gut ankommen können. Oft sind die Unterkünfte noch unzureichend, es fehlt an allen Ecken und Enden. Verwaltung und Politik sind auf diese große Aufgabe nicht besonders gut vorbereitet. Aber überall gibt es ehrenamtliche Flüchtlingsinitiativen. Die Helfer und Helferinnen gehen in die Flüchtlingsunterkünfte und sprechen mit den Menschen, die dort untergekommen sind. Sie hören die Geschichten der Geflüchteten, auch wenn es am Anfang oft schwierig ist mit der Verständigung. Sie fragen nach, was gebraucht wird, und organisieren auf unkomplizierte Weise Deutschkurse, Behördengänge, Kinderbetreuung und vieles mehr. Sie wissen: das Wichtigste ist einfach der menschliche Kontakt.

 

Diese große Welle der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft macht mich froh. Sie ist ja nicht selbstverständlich. Ich glaube, die meisten Menschen kennen die wohltuende Wirkung der Gastfreundschaft. Wie gut es tut, in ein offenes Haus zu kommen, ohne Sorge, jemandem über Gebühr zur Last zu fallen. Einen Tisch zu finden, an dem noch ein Platz frei ist. Ein Bett zum Schlafen. Wer das selbst kennengelernt hat, weiß es zu schätzen – und wird es selbst gerne weitergeben. Eine Tradition von Gastfreundschaft, die schon in der Bibel bewahrt wird.

 

Die Bibel macht Mut dazu. Im Hebräerbrief lese ich: "Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt." Engel beherbergt – das klingt ein bisschen poetisch. Doch ich glaube, Gastfreundschaft ist etwas ganz Handfestes, und viele erleben das mit den Flüchtlingen. Nicht weil die Menschen, die da nach Deutschland kommen, sozusagen bessere Wesen, also „Engel“ wären. Sondern weil die Begegnung mit ihnen ein Versprechen Gottes enthält: Dass auf der Nächstenliebe ein Segen ruht, den niemand kennenlernt, der sich abschottet. Dass es uns in Deutschland selbst gut tut, zu teilen. Dass unser Leben hier einen weiten Horizont bekommt. Alles das erfahren so viele Menschen, die in unserem Land den neuen Nachbarn Türen öffnen und sie willkommen heißen.

 

Meine Engel heißen übrigens Laetizia und Aleteja. Zwei kleine Mädchen aus Nigeria, die vor einem Jahr mit ihrem Vater kamen. Damals waren sie verschüchtert und traurig, sprachen kein Wort Deutsch. Ihre Mutter war auf der Flucht über Italien ums Leben gekommen. Nicht nur die beiden habe ich kennengelernt, sondern auch Menschen aus meiner Nachbarschaft. Gemeinsam haben wir versucht, Laetizia und Aleteja den Start in der Stadt zu erleichtern. Jetzt vor zwei Wochen sah ich die beiden Mädchen wieder. Sie tollten vor der Kirche mit anderen Kindern herum und lachten, wie Kinder lachen sollten. Und ich freute mich so, dass ich selbst lachen musste, und dachte: was für ein Segen, dass ihr hier seid!