Mit sich selbst befreundet sein

Wort zum Tage
Mit sich selbst befreundet sein
05.02.2015 - 06:23
05.01.2015
Pfarrerin Kathrin Oxen

Ich kenne sie schon ziemlich lange. Ich bin eine von denen, die weiß, wie sie mit siebzehn war. Ich kenne alle ihre Lebensstationen. Ich bin auch die Umwege und Irrwege mitgegangen. Die Krisen haben wir zusammen bewältigt und die Glücksmomente erlebt. Ich weiß, dass sie am allerliebsten Erdbeermarmelade auf dem Brötchen isst und eine ganz bestimmte Kaffeesorte bevorzugt. Dass sie den Geruch von Wäsche liebt, die draußen gehangen hat und es ihr gut geht, wenn sie am Meer ist. Hunde kann sie nicht leiden, aber sie würde sich immer wieder eine Katze anschaffen. Ich kenne ihre Träume und weiß auch einiges, was sie sonst lieber für sich behält. Denn sie behält ja gerne auch mal etwas für sich und macht einige Dinge am liebsten mit sich selbst aus. Ich habe Verständnis dafür, dass ihr manchmal alles zu viel wird. Ich weiß, womit ich ihr eine Freude machen kann.

 

Eine richtig gute Freundin könnte das alles so sagen. Unter der Voraussetzung, dass man sich schon lange kennt und die Freundschaft über viele Jahre und Jahrzehnte Bestand hat. Aber wie viele Leute gibt es, die mich schon mit siebzehn kannten und mit denen ich heute noch in Kontakt bin? Freunde und Freundschaft sind wichtig. Sie werden sogar immer wichtiger in einer Zeit, in der man nicht mehr einfach so Menschen hat, die einem nahestehen. Gute, dauerhafte Freundschaften sind etwas besonderes – und bleiben etwas, das man nicht machen kann.

 

Vielleicht muss man woanders anfangen: Bei sich selbst. So oder so ähnlich wie eine gute Freundin könnte ich mich doch auch selbst einmal betrachten. Schließlich kenne ich mich garantiert schon seit dem Sandkasten. Für den Philosophen Wilhelm Schmid ist die „Selbstfreundschaft“ sogar die Voraussetzung dafür, sein Leben gelingend und erfüllt zu gestalten. „Selbstfreundschaft“ – ein schöner Begriff! Um gleich ein Missverständnis auszuräumen: Damit ist nicht die Art von Selbstliebe gemeint, zu der die üblichen Kalendersprüche einen ermuntern wollen. „Nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben“ - das stimmt. Und in der Bibel steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“.

 

Aber das gelingt nur, wenn mein Verhältnis zu mir selbst so ist, wie das zu einer guten Freundin. Die kennt mich gut. Die weiß, dass ich liebenswert bin. Die weiß aber auch, dass ich meine Schwächen habe. In der Freundschaft zu mir selbst gibt es starke Stunden und ganz schwache Momente. Und auch diese Freundschaft muss ich pflegen. Ich könnte mich eigentlich mal wieder mit mir verabreden und eine Tasse Kaffee mit mir trinken gehen.

05.01.2015
Pfarrerin Kathrin Oxen