Ausgang der Geschichte

Morgenandacht

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Ausgang der Geschichte
Morgenandacht von Holger Treutmann
27.09.2022 - 06:35
11.06.2022
Holger Treutmann
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„Gibt es noch Karten für die Aufführung?“ Auf der Durchreise habe ich in Oberammergau Halt gemacht. Früher Nachmittag. Im Ortskern war es ruhig. In den Lokalen kaum Gäste. Und das, obwohl in und um den kleinen oberbayerischen Ort nur mit Mühe noch ein Parkplatz zu finden war. Busse und Autos ohne Ende. Die zwei Männer im Infopoint der Oberammergauer Passionsspiele fragte ich nach Restkarten.
Wir sprachen ein wenig über Bühne und Schauspieler, Dauer und Temperaturen im Herbst. Und dann schloss er mit diesem Satz, der witzig war und im Gedächtnis blieb: „Man kennt ja den Ausgang der Geschichte schon, aber es lohnt sich!“

Man kennt den Ausgang der Geschichte. Tatsächlich – eine große Überraschung wird es nicht werden. Die biblische Passionsgeschichte Jesu. Vom Einzug in Jerusalem, über Verrat und Verurteilung bis hin zum Tod des Gottessohnes am Kreuz. Vier schriftliche Passionsberichte überliefert schon die Bibel. Sie sind der Kern christlichen Glaubens. Vielfach sind sie nacherzählt und interpretiert worden; neu in Szene gesetzt oder dramatisch verfilmt. Man kennt den Ausgang der Geschichte - und doch lassen die letzten Stunden Jesu kaum jemanden ganz kalt.

Ein Gelübde war es, das die Oberammergauer Passionsspiele entstehen ließ. Die Pest wütete im späten Mittelalter und brachte im Jahr 1633 vielen Menschen im Dorf den Tod. Wenn die Pest vorüberginge, so versprachen die Oberammergauer, dann wollten sie regelmäßig ein Passionsspiel aufführen. Im Rhythmus von je 10 Jahren wurde dieses Gelübde bis heute erfüllt. Natürlich gab es Ausnahmen. Jubiläumsjahre mit zusätzlichen Aufführungen, aber auch Absagen; genau vor 100 Jahren wegen der Spanischen Grippe oder 2020 wieder wegen der Corona-Pandemie. „Eine Seuche hat die Tradition ins Rollen gebracht, eine andere bringt sie zum Erliegen“ heißt es in der Festspielzeitung von vor zwei Jahren. In diesem Jahr wurde nachgeholt, was vorübergehend ausgesetzt war. Die letzten Aufführungen dieser Saison finden in diesen Tagen statt.

Ob es eine Ermüdung gibt, jetzt bei den Schauspielern und Mitwirkenden im Umfeld? Eine Ermüdung gab es sicher auch damals, bei den Jüngern um Jesus. So wird es die Menge beobachtet haben, die vom Rande her schauen wollte, was es mit dem Wanderprediger aus Nazareth auf sich hatte. So ist es gewesen bei Jesu Anhängern – gegen Ende hin ermattete die Kraft zu glauben, was ihr Jesus verkörpert hat: Liebe, bedingungslose Liebe aus dem endlosen Pool göttlicher Ewigkeit; einzigartige Kraft gegen Krieg und Kreuz, Krebs und Krise.

Man weiß ja, wie die Geschichte ausgeht. Das älteste der vier Evangelien erzählt kein Happyend. Und auch bei den anderen drei Evangelien sind die Osterberichte eher geheimnisvoll als triumphal erzählt. Auferstehung ist kein Endsieg nach menschlichen Vorstellungen. Dass der Tod überwunden ist, das bleibt auf das Zutrauen derer angewiesen, die sich ansprechen lassen. Und die das eigene Leben mit der Geschichte des Menschensohnes in Verbindung  bringen.

Das will auch der Intendant Christian Stückl. Er meint: „Seit Covid-19 in unsere Leben eingezogen ist, schreit jeder nach Demokratie. Man hat das Gefühl, die Einschränkung der persönlichen Rechte ist wichtiger geworden als die Solidarität untereinander. … Da frage ich mich schon: Wie schärft man das Passionsspiel noch einmal so, dass es stärker mit den Fragen unserer Zeit umgeht?“ schreibt der Intendant Christian Stückl.

Ruhig war es in der Stadt. Das Spiel war gerade im Gange. Dann zur Pause wird das angereiste Publikum durch die Gassen strömen und sich in der oberbayerischen Gastkultur stärken. Dann kommt Teil zwei bis in den späten Abend.
Man kennt ja den Ausgang der Geschichte. Trotzdem habe ich dann Karten gekauft. Weil ich offen sein möchte, wie die Botschaft mich erreicht. Denn: den Ausgang meiner Geschichte kenne ich nicht. Auch nicht den unserer krisengeschüttelten Welt.

Es gilt das gesprochene Wort

11.06.2022
Holger Treutmann