Beziehungswesen

Morgenandacht
Beziehungswesen
16.02.2021 - 06:35
11.02.2021
Annette Bassler
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Wenn Sie sich mit Ihrer Kaffeemaschine, mit dem Kühlschrank oder der Zimmerpflanze unterhalten, dann ist das in diesen Zeiten völlig normal. Bitte rufen Sie uns deshalb nicht an.“ Der grauhaarige Herr im Video stellte sich als Psychiater vor. Dann fährt er fort. „Bitte rufen Sie uns nicht an, wenn Sie mit den Dingen reden. Rufen Sie uns erst an, wenn Ihre Kaffeemaschine, der Kühlschrank oder die Zimmerpflanze Ihnen antworten.“

Humor in Zeiten von Corona. Ich liebe ihn! Dieser Humor hat etwas aufgespießt, was ich an mir mit Verwunderung festgestellt habe. Denn ich habe morgens tatsächlich mit der Kaffeemaschine geredet, habe ihr gedankt für den herrlichen Kaffee, habe mich über den Kühlschrank und seinen Inhalt gefreut und habe meine Zimmerpflanze gefragt, warum sie Blätter abwirft. Wo ich mir doch so eine Mühe geben.

Mein Bedürfnis nach Kontakt war so groß, dass ich meine Freundin von hinten umarmt habe, nur um sie -trotz Abstandsregel- einmal anfassen zu dürfen. Und jetzt hat mir tatsächlich meine Zimmerpflanze geantwortet und ich frage mich, ob ich noch normal bin oder vielleicht doch eine Beratungsstelle anrufen sollte.

Sehr hilfreich fand ich einen Satz, den Jesus mal gesagt hat. Da hatte er selbst eine lange Zeit der Kontaktsperre und des Fastens hinter sich, war also ähnlich ausgehungert wie ich. Er sagte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Der Mensch lebt nicht nur davon, dass er genug zu essen hat, ein Dach über dem Kopf und ein funktionierendes Gesundheitssystem. Das alles ist zwar systemrelevant. Zum Überleben aber reicht das nicht.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht.“ Sagt Jesus. Das Wort, das durch den Mund Gottes geht. Es ist genauso systemrelevant wie Ernährung. Die Frage ist nur: Was ist das für ein Wort? Wo finde ich es und woran merke ich, dass es durch den Mund Gottes gegangen ist?

Der Reformator Johannes Calvin hilft da weiter. Er meint: es ist das Wort, das man sich selber nicht sagen kann. Es gibt tatsächlich Dinge, die kann man sich selber nicht sagen, da braucht man ein Du. So ist der Mensch nun mal konstruiert, meint Calvin. „Wir sind alle eines helfenden Wortes bedürftig, aber nicht mächtig.“

Das Wort, das wir uns selber nicht sagen können. Das Wort, für das wir ein lebendiges Gegenüber brauchen, ein DU - das ist das Wort, das durch den Mund Gottes gegangen ist. Und davon leben und ernähren wir uns genauso wie von essen und trinken.

Und das ist auch der Grund, warum die nun schon so langen Kontaktbeschränkungen so viel Mühe machen. Es ist wie ein Zwangsfasten für die Seele. Nicht wir brauchen psychiatrische Beratung. Die momentane Situation ist verrückt und braucht ärztliche Behandlung.

Aber zum Glück geht das Wort ja durch den Mund Gottes. Und Gott kann auch sprechen, wenn alles schweigt. Gott spricht in allen Sprachen der Welt, auch die, die keine Worte braucht. Überall kann Gottes Wort uns erreichen, berühren und die Seele nähren.

Ein Freund findet es immer zwischen zwei Buchdeckeln. Oder auf eine CD gebrannt. Gott spricht in der unsterblichen Musik von Johann Sebastian Bach, oder in den großen Filmen der Gegenwart. Meine Freundin kann sich in einem Gemälde verlieren. Und wenn ich in den Garten gehe oder in den Wald, dann redet Gott mit mir ohne Punkt und Komma. Woher ich das weiß?

Weil in diesen Momenten sich der Himmel öffnet und ich mich verbunden fühle mit allem, was ist. Ich bin all-eins, auch wenn ich allein bin. Das passiert, wenn Gott zu mir spricht.

Autonomie ist schön, hat aber Grenzen. Denn: wir sind Gegenüberwesen, meint Jesus, angewiesen auf Worte, die wir uns selber nicht sagen können. Worte, die sich Gott hat auf der Zunge zergehen lassen. Wir finden sie in der Natur, in der Musik, in der Begegnung mit Anderen - draußen oder drinnen mit dem Ohr am Telefon, mit dem Gesicht am Bildschirm und wie immer das derzeit möglich ist.

Und ich finde: in diesen verrückten Zeiten sollten wir es einander gönnen, auch mal neben der Spur sein zu dürfen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

11.02.2021
Annette Bassler