Einsamkeit oder Ausgrenzung

Morgenandacht
Einsamkeit oder Ausgrenzung
13.07.2019 - 06:35
04.07.2019
Matthias Viertel
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In Großbritannien gibt es seit einiger Zeit ein Ministerium für Einsamkeit. Das ist keine Fake News, es stimmt tatsächlich. Theresa May, die an dem Brexit so grundsätzlich gescheitert ist, hat das Ministerium eingerichtet, als sie noch im Amt war. Mag ja sein, dass sie selbst sich von dem Thema angesprochen fühlte. Einsamkeit wird ja auch in solchen Bereichen empfunden, die eigentlich mit ständigem Trubel, öffentlichen Auftritten und viel Publicity verbunden sind. Auch da gibt es tiefe Löcher, wenn der öffentliche Status fällt.

Auf jeden Fall hat Theresa May dieses so ganz ungewöhnliche Ministerium eingerichtet. Die ehemalige Staatssekretärin Tracey Crouch bekleidet das Amt. Sie hat die Aufgabe, der zunehmenden Vereinsamung der Menschen entgegenzuwirken.

Vereinsamung ist als Problem wirklich nicht nebensächlich, das belegen schon die Zahlen: Mehr als 9 Millionen Menschen in Großbritannien gelten als einsam, weil sie niemanden haben, mit dem sie reden und ihre Probleme austauschen können. 9 Millionen ist eine ganze Menge, bei einer Bevölkerungszahl von rund 66 Millionen sind das fast 14 Prozent.

In erster Linie sind ältere Menschen von Einsamkeit betroffen. Männer und Frauen, deren Angehörige sich nicht um sie kümmern oder sie nur selten besuchen. Alterseinsamkeit ist besonders schlimm, weil die Betroffenen selbst ja nur noch beschränkt aktiv werden können. So finden sie sich damit ab, niemanden mehr zu haben, dem sie ihre Sorgen erzählen oder mit dem sie auch nur schlicht über den Tag plaudern können. Es gibt nur noch wenige alte Menschen, die zuhause im Kreise ihrer Kinder den Lebensabend beschließen können. Aber auch jüngere Menschen fühlen sich zunehmend ausgeschlossen, ja isoliert, finden keinen Kontakt mehr und vereinsamen. Die Einsamkeit hat Ausmaße angenommen, die bedenklich sind, nicht nur in Großbritannien. In Deutschland gibt es zwar kein Ministerium für Einsamkeit, aber den Menschen geht es deshalb noch lange nicht besser. Und das Eigentümliche ist: Je mehr Menschen die Welt bevölkern, umso einsamer fühlen sie sich. Je größer die Städte werden, umso mehr Singlehaushalte entstehen. Je größer das Bedürfnis nach Mitteilung wird, umso näher rückt die Gefahr, sich in der Fülle ausgeschlossen zu fühlen. Das weltweite Netz des Internet scheint diese Lage auch nicht zu verbessern.

Aber ist Einsamkeit tatsächlich als Krankheit der modernen Zivilisation zu bewerten? Und ist ein Ministerium das richtige Mittel gegen Einsamkeit? In der christlichen Tradition ist die Einsamkeit stets ambivalent beurteilt worden. Es scheint sogar so, als wäre ein Rückzug in die Abgeschiedenheit eine Voraussetzung, um mit sich und dem Glauben ins Reine zu kommen. Mönche, Einsiedler, Eremiten, seit Urzeiten haben fromme Menschen die Einsamkeit bewusst gesucht. Und selbst Jesus zog sich immer wieder zurück, um aus der Stille Kraft zu schöpfen, einmal sogar für sehr lange Zeit. Und doch heißt es im 1. Buch Mose unmissverständlich: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine bleibt.“ (Gen 2,18)

Das Problem liegt also weniger in der Einsamkeit, als vielmehr in der Isolation. Nicht jeder Mensch, der alleine ist, fühlt sich einsam. Und nicht jedem, der einsam ist, mangelt es an Menschen um sich herum. Das Problem ist nicht, dass kein Mensch da wäre, sondern dass sich keiner kümmert. Das grenzt aus und führt zur sozialen Verwahrlosung. Nicht ohne Grund haben sich die Liebhaber der Einsamkeit stets zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen, wie zum Beispiel die Mönche in einem Orden. Wer Einsamkeit sucht, braucht die Gemeinschaft. Und nur wer sich in einer Gemeinschaft aufgehoben weiß, kann die Stille der Abgeschiedenheit genießen. Wenn es aber ums Kümmern geht, sind wir alle gefragt: die Freunde, die Nachbarn, jeder Nächste. Mit oder ohne Ministerium.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

04.07.2019
Matthias Viertel