Pauls Lieder

Morgenandacht

epd-bild / Jens Schlüter

Pauls Lieder
Morgenandacht von Evamaria Bohle
18.02.2023 - 06:35
29.01.2023
Evamaria Bohle
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Woher kommt die Freude? Das kann eine wichtige Frage werden, wenn der graue Himmel seit Wochen aufs Gemüt drückt, wenn Erschöpfung das größte ist, was man hat, und die Sorgen nicht kleiner werden. Woher kommt die Freude?

Für mich ist Paul derzeit wichtig. Paul ist ein Deutschpoet. Ein Wort- und Reimkünstler. Seine Texte gehen unter die Haut. Sie treffen einen Ton, der Menschen berührt. Menschen, die ausgehungert sind nach Hoffnung, nach Schönheit, nach Frieden.

Paul ist nicht mehr der Jüngste. Er hat schon einiges hinter sich und genau das spürt man seinen Liedern an. Früh die Eltern verloren. Krieg, Zerstörung und Tod, die Seuche, der Hunger. Viele Menschen hat er sterben sehen. Schon als Student. Aber Paul ist noch da. Er hat überlebt, ist irgendwie davongekommen, und seinen Texten merkt man an, dass das für ihn nicht selbstverständlich ist. Zu überleben ist Wunder und Last.

Ich spüre: die Freude, von der er singt, ist dieser Schwermut abgetrotzt. Jeden Tag aufs Neue. Und genau das berührt mich. Das ermutigt mich auch. Wenn er das kann, kann ich das vielleicht auch: Der Finsternis im Innen Freude abtrotzen.

Natürlich kenne ich Paul nicht persönlich. Ich weiß nicht, wie er privat ist. Ich weiß, was Fans so wissen: Er kommt vom Dorf. Er hat evangelische Theologie studiert. Und Philosophie. Er ist Pfarrer geworden. Kirche ist wirklich sein Ding. Seine erste richtige Pfarrstelle ist Mittenwalde, bei Berlin. Drei Jahre nach Kriegsende.

Damals ein krasser Ort: Vor dem Krieg gab es dort 245 Haushalte, als er kam waren es noch 45. 45! Seine Gemeinde wird also klein gewesen sein. Alle traumatisiert, stelle ich mir vor. Keiner redet gern von früher. Worüber soll man auch reden? Alle waren ja dabei, und es tut zu weh. Und was macht Paul? Er schreibt neue Lieder. Und lässt sie in der Gemeinde singen. Die Überlebenden singen - von Freude und Dankbarkeit, von Schönheit, von Gottvertrauen – mitten in ihrer zerstörten Stadt.

Die Texte sind sehr religiös, auf der einen Seite. Aber die Erfahrungen der Vergangenheit, die Sorgen wegen der unberechenbaren Politik und das verborgene persönliche Leid kommen eben auch vor. Paul nimmt die Erfahrungen der Leute und schenkt ihnen Worte. Seine Texte legen Spuren in die Dunkelheiten hinein und führen wieder heraus.

Ich stelle mir seine Gemeinde vor. Damals, 1653. Die Leute mit ihren Kriegserinnerungen. Soviel Schmerz, soviel Verluste verbergen sich in der kleinen Schar, die sich zum Gottesdienst trifft. Und dann singen sie. Vielleicht Pauls Lied vom neuen Geist. Eines seiner unbekannteren Lieder: „Zieh ein zu deinen Toren, sei meines Herzens Gast.“ Gänsehautmoment.  Denn wie ist das, wenn dieser gute Geist durch das Tor meiner zerstörten Stadt kommt? Nach Mittenwalde, nach Dnipro, nach Aleppo. Oder in mein kaputtes Herz? Dieser Geist der Kraft, der Liebe, der Besonnenheit.

Ich singe mit und unsere inneren Bilder, Erinnerungen, Gefühle blenden sich übereinander. Der Atem fließt, er wandelt sich in Klang. Es bildet sich eine Gemeinschaft der Stimmen. Zeit- und raumübergreifend. Eine Ahnung von Frieden. Das schafft Paul. Paul Gerhardt. Seine Lieder sind seit mehr als 400 Jahren ein Phänomen.

Woher die Freude kommt, wenn die Schwermut nicht weichen will? Ich glaube, man muss sie suchen gehen, die Freude. Mir hilft Musik. Mir hilft Paul. Ich leihe mir seine Worte, seine Hoffnung und seinen Überlebenstrotz. Der Klassiker dazu heißt „Geh aus, mein Herz, und suche Freud.“ Also: Do it. Jeden Tag aufs Neue. Freude suchen.

Es gilt das gesprochene Wort.

29.01.2023
Evamaria Bohle