Stichtag

Morgenandacht
Stichtag
23.06.2020 - 06:35
07.05.2020
Holger Treutmann
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Morgen ist der letzte Stichtag. Wer heute noch einmal Spargel kauft, macht alles richtig. Jetzt geht er nämlich zur Neige und wird langsam holzig. Ab morgen soll das aromatische Gemüse nicht mehr geerntet werden. Das tut dem Boden nicht gut und könnte einen schlechten Einfluss auf die Ernte im nächsten Jahr haben. Spargelsilvester.

Schön, dass es unter den Gemüsegourmets noch genügend Verfechter für strikte Erntezeiten gibt. Wer Spargel genießen will, der nutzt die Gunst der wenigen Wochen. Und jetzt, wenn er noch gestochen, geschält und zusammen mit einer leckeren Sauce Hollandaise serviert werden kann, das letzte Mal.

 

Spargelernte ist Handarbeit. In diesem Jahr drohte das Gemüse zu verderben, weil die Grenzen wegen der Pandemie geschlossen wurden. Nur mit einer Ausnahmegenehmigung war es osteuropäischen Erntehelfern möglich, nach Deutschland zu kommen. Ob Studierende, Kurzarbeiter oder Schülerinnen im Ernteeinsatz den Bedarf an Arbeitskraft zu niedrigem Lohn hätten ausgleichen können? Weil das Lohngefälle auch in der Europäischen Union noch erheblich ist, lohnt sich die Gastarbeiterschaft – für die, die produzieren und für die, die Arbeit suchen. Das Edelgemüse hat auch so schon seinen Preis, und gar zu tiefgründig mag man nicht über Gerechtigkeit philosophieren, wenn die Spargelstangen wie Schlagbäume quer über dem Teller liegen.

 

Was Fremdarbeit bedeutet, darüber weiß die biblische Erzählung ausgiebig zu berichten.

Du sollst den Fremdling nicht bedrücken. Das Gebot aus der jüdischen Tradition leitet sich aus einer Grunderfahrung des Gottesvolkes Israel ab: Denn ihr wart doch selbst Fremdlinge in Ägypten, heißt es in der Bibel. Wer selbst die Erfahrung von Ausbeutung gemacht hat, sollte andere nicht knechten. Das bleibt Aufgabe und Auftrag bis heute.

 

Welcher Lohn gerecht ist, darum wird von Gewerkschaften und Arbeitgebern immer wieder neu gerungen. Die Krise durch die Corona-Pandemie rückt die Pflegeberufe oder den Einzelhandel in den Blick. Und es wird offensichtlich, was Menschen sich etwas kosten lassen, und was nicht. Pflege ist billig und Essen ist billig. Das waren die Stellschrauben, an denen gedreht werden konnte, um Gewinne zu steigern: im Krankenhaus und in Heimen, in der Landwirtschaft und im Einzelhandel. Sekundäre Bereiche wie Verwaltung, Geldwirtschaft und Management blieben relativ gut bezahlt.

Ob die Krise dazu führt, die Prioritäten neu zu setzen? Noch ist offen, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt mit und nach Corona entwickelt.

 

Tagelöhner hat Jesus in seinen Gleichnissen für das Himmelreich oft in den Fokus gerückt. Sein Gebet, das Vaterunser, zeigt: das tägliche Brot ist nicht selbstverständlich. Darum zu bitten, ist deshalb sinnvoll, weil Arbeit und Auskommen letztlich Gaben Gottes sind. Anspruchsdenken und Statuseinkommen sind dagegen lebensfern. Gerechte Löhne müssen sich daran messen lassen, ob ein gutes, tägliches Auskommen möglich ist. Und zwar für alle, ob Fremdarbeiter oder Einheimische, ob Mindestlöhner oder Arbeitgeber und Unternehmen. Denn auch Unternehmenspleiten nutzen niemandem. Wer investieren muss, braucht auch maßvolle Überschüsse.

 

Du sollst den Nächsten nicht bedrücken, noch berauben. Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis zum Morgen (3. Mose 19, 13), heißt es in der Bibel.

Am Ende des Tages also soll so viel da sein, dass jeder sein tägliches Brot, im Schweiße seines Angesichts, essen kann. Dem Ochsen, der drischt, soll man nicht das Maul verbinden.

 

Morgen ist Stichtag. Spargelsilvester. Gibt es einen ewigen Lohn im Himmel, dann wird er sehr davon abhängen, ob dem Nächsten in dieser Welt ein fairer Lohn gezahlt wurde. Die Erntepause jetzt tut dem Boden gut, damit er alle gleichermaßen ernähren kann.

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.05.2020
Holger Treutmann