Alles eitel

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Mayron Oliveira

Alles eitel
mit Ulrike Greim
21.02.2022 - 06:20
11.01.2022
Ulrike Greim
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Wir sind jetzt in dem Alter, in dem man sich auf Beerdigungen trifft, sagt der Kollege, als sie sich auf einer Beerdigung treffen. Und dann stehen sie da, vor der Kirche, etwas betreten, und wissen nicht, was sie reden sollen. Das letzte Mal, als sie sich gesprochen hatten, haben sie heftig gestritten. Er hat sie ein Schlafschaf genannt, und sie ihn einen Covidioten. Dabei konnten sie sich früher mal gut leiden.

Nun stehen sie hier, der gemeinsame Freund bringt sie zusammen, und bei so einem Anlass streitet man nicht. Danach ist ihnen auch nicht. Haben eher beide den Kloß im Hals.

In der Kirche, zwei Bankreihen voneinander entfernt, singen sie, so gut das eben geht mit Tränen in der Stimme: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag.“ Der Verstorbene hat es gemocht. „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Dann begleiten sie den Sarg zum Grab, hinter der Witwe, den Kindern. Da stehen sie nebeneinander und merken, dass die alte Freundschaft zählt. Am Grab zeigt sich, was was wert ist. Als sie verzweifelt ein frisches Taschentuch sucht, hält er ihr eines hin.

Sie hatte absolut nicht verstehen können, warum er sich nicht einfach impfen lässt – in seinem Job, mit so viel Publikumsverkehr. Warum er – im Gegenteil – montags mitläuft – bei den sogenannten Spaziergängen. Warum er – einer, der 1989 in Leipzig mutig auf die Straße gegangen war – jetzt so tut, als gelte es wieder, sich gegen eine Diktatur zu verteidigen.

Er verstand nicht, warum sie nicht versteht, was hier gespielt wird. Dass sie der Propaganda aufsitzt. Er hatte die Medien „Systemmedien“ genannt, und da war sie ausgerastet. Welches System das sein soll.

Der Riss ging tief. Beide dachten voneinander, der je andere wäre durch eine Gehirnwäsche gegangen. Sie sind sich aus dem Weg gegangen. Viele Monate.

Am Grab des Kollegen wissen sie, dass sie Menschen sind. Sterblich. Zack – beide wieder gleich. Und verbunden. Die Pfarrerin liest alte Verse. „Alles ist eitel und Haschen nach Wind“.

Als der Sarg nach unten gelassen wird, sie Erde und Blüten hinterherwerfen, sind all die Dämme wie weggeschwemmt. Der Himmel ist klar, die Erde trägt. Da ist kein Graben. Nicht der kleinste Riss.

Sie schauen auf die Kinder des Verstorbenen, rote Augen und Nasen. Sie kennen sie vom Babyalter an. Und es tut im Herzen weh. Sie stammeln gutgemeinte Worte.

Worum es im Kern geht. Das ist die Frage. Lass uns genau das fragen, sagt sie. Nichts anderes.

Beim Kaffeetrinken sitzen sie nebeneinander, trauern, reden, lachen. Sie verabschieden sich freundschaftlich. Freitag mal zum Kaffee? Ja, Freitag Kaffee.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

11.01.2022
Ulrike Greim