Eine Erfahrung am Krankenbett

Wort zum Tage
Eine Erfahrung am Krankenbett
03.03.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Marianne Ludwig

Sie deckt den Frühstückstisch für zwei. Wie ein Wunder kommt ihr das manchmal vor. Fast acht Monate ist der Unfall jetzt her. Als sie damals im Krankenhaus am Bett ihres Mannes stand, hat sie ihn kaum wieder erkannt. Überall Schläuche, Verbände, Apparate. „Das Beste hoffen und beten“, hat der Arzt gesagt. Und hinzugefügt: „Wir tun, was wir können!“

 

Nicht nur er hat das gesagt. Vom ersten Augenblick an war sie nicht allein. Der Vorgesetzte ihres Mannes hatte es sich nicht nehmen lassen, sie persönlich zu benachrichtigen. Er begleitete sie sogar ins Krankenhaus. Auch in den Tagen danach stand das Telefon kaum still. Die Anteilnahme tat zwar gut, aber dann wurde ihr es doch zu viel: Immer wieder das Unfassbare berichten, immer wieder das Erschrecken durchleben. Sie wollte jetzt nur für ihren Mann da sein. Die Freunde richteten zwei Chatgruppen ein, um trübe Gedanken zu verscheuchen. „Kopf hoch“ hieß die eine und „Daumen hoch“ die andere. Tatsächlich: Diese kurzen Nachrichten taten gut. Wenn ihr Mann wach war, las sie ihm aus dem Chatverlauf vor; und das ehrliche Mitgefühl war wie eine Welle, die sie beide trug.

 

Aber manchmal fühlte sie sich völlig hilflos, wenn sie ihren Mann so daliegen sah. Möglichst Tag und Nacht wollte sie jetzt im Krankenhaus um ihn sein. So gern hätte sie ihm die Schmerzen abgenommen. Heißt es nicht in der Bibel: „Einer trage des anderen Last?“ Erst später erfuhr sie, dass ihr Mann genau dasselbe gedacht hatte. Seine Frau so außer sich und verängstigt zu sehen, hatte ihm fast mehr zu schaffen gemacht als seine eigene Genesung. Eines Tages nahm die Tochter sie zur Seite. „So geht es nicht weiter, Du kannst Papa nicht helfen, wenn du selbst vor die Hunde gehst.“ Die Freunde lösten sie nun am Krankenbett ab, auch wenn sie sich zunächst mit Händen und Füßen sträubte. Erst nach und nach verstand sie, wie wichtig für sie Erholungspausen waren. Dass sie ihrem Mann nicht helfen konnte, wenn sie sich selbst marterte. Zumal die Freunde nicht nachließen und immer wieder Hilfe anboten.

 

Der Frühstückstisch ist fertig. Ihr Mann nimmt mühsam Platz. Immer noch hat er Schmerzen, aber er lächelt sie an: „Ich wünsche niemandem so ein Unglück. Trotzdem hat alles sein Gutes gehabt. So viele Menschen haben uns geholfen und unsere Belastung mitgetragen. Das hätte ich mir nie träumen lassen. Diese Erfahrungen möchte ich jetzt in meinem Leben nicht mehr missen.“ Sie nickt.

11.01.2016
Pfarrerin Marianne Ludwig