Liebe inmitten von Hass

Wort zum Tage
Liebe inmitten von Hass
19.12.2017 - 06:20
01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann
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Ich lebe in Berlin. Häufig führt mich mein Weg vom Büro zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Besonders nach hektischen Tagen gehe ich diesen Weg gerne. Hier kommt meine Seele zur Ruhe. Ein Hort der Stille und des Friedens mitten im Getümmel der City.

Doch seit einem Jahr ist das noch mal anders. Mein Weg führt mich zunächst zur Turmruine. Noch immer stehen hier Kerzen, ich sehe Kreuze, und Namen, die Namen von Opfern eines Attentats. das geschah heute genau vor einem Jahr, an diesem von mir so geliebten Ort. Ein Mann raste am 19. Dezember 2016 mitten in eine Menschenmenge auf den Weihnachtsmarkt rund um die Gedächtniskirche. An diesem zentralen Ort, mitten im fröhlichen Vorweihnachtstrubel, hier ist diese schreckliche Tat geschehen. Ich erinnere mich an die Bilder der Verwüstung.

An diesem Ort des Schreckens wird heute ein Mahnmal eingeweiht. Eine goldfarbene Legierung in einem Riss am Boden erinnert an die Namen der Opfer. Heute steht der Weihnachtsmarkt still - kein Weihnachtstrubel, sondern Trauer und Gedenken.

 

Ich gehe weiter, hinein in den Kirchenraum. Wie anders hier die Atmosphäre ist. Das tiefdunkle Blau der Fenster, das warme Licht, die Stille, die brennenden Kerzen.

Ich gehe zu einem Bild. Eine Kohlezeichnung, gemalt auf der Rückseite einer russischen Landkarte. Es ist eine Militärkarte aus dem zweiten Weltkrieg, die die Truppenzüge markiert, die zeigt, wo die Fronten verlaufen, wo der teuflische Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt herrscht.

Auf diesem Hintergrund des Hasses und der Gewalt erblicke ich ein Bild der Hoffnung.

Gemalt hat es der Pfarrer und Arzt Kurt Reuber, Weihnachten 1942. In Stalingrad.

Im Zentrum sehe ich eine Mutter, die ihr Kind sorgsam umhüllt. Die Köpfe von Mutter und Kind berühren sich fast. Der starke Arm der Mutter und ihre übernatürliche große Hand umschließen das Kind. Sie gibt ihm Schutz. So als ob kein Sturm und keine Kälte von draußen dem Kind etwas anhaben können.

Links neben der Madonna mit Kind sehe ich, in welcher Umgebung die beiden sich aufhalten: Im Kessel. Festung Stalingrad. Inmitten von Gewalt, Tod und Verzweiflung.

Aber rechts oben erkenne ich Worte für eine andere Wirklichkeit: Licht, Leben, Liebe. Von diesen Worten her werden die Mutter und ihr Kind angestrahlt.

Mitten in einer Welt von Hass und Gewalt gibt es Liebe, Leben, Licht.

Gut, dass ich dieses Bild gerade hier sehen kann - und gerade an diesem Tag.

 

01.11.2017
Militärdekan Dirck Ackermann