Märchen - und mehr

Wort zum Tage
Märchen - und mehr
12.03.2018 - 06:20
01.03.2018
Marianne Ludwig
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„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ hat der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber gesagt. Wenn Menschen verschiedener Kulturen zusammenkommen, ist es nicht leicht, einander wirklich zu begegnen. Man muss bereit sein, aufeinander zuzugehen und auch von sich selbst zu erzählen.

Zum Beispiel mit Hilfe von Märchen.

 

Jede Generation hat sie an die nächste weitergereicht und zugleich von den eigenen Hoffnungen erzählt: „Schneewittchen“ zum Beispiel handelt vom Fluch der bösen Tat. Der Fluch verliert jedoch seine Kraft und verwandelt sich am Schluss sogar in Segen. „Hänsel und Gretel“ überwinden eine tödliche Bedrohung, weil sie zusammenhalten. Und einem äußerlich unscheinbaren Aschenputtel sollte man nicht hochmütig und hartherzig gegenübertreten: Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

Diese Märchen wirken darum so anziehend auf Klein und Groß, weil sie Weisheit in Erzählungen kleiden. Schauplatz der Erzählungen sind Landschaften, mit denen wir aufgewachsen sind: Wälder, Seen und Berge. Deshalb sind sie uns auf Anhieb vertraut.

 

Anders ist es mit Märchen, die in fremden Ländern spielen: Sie faszinieren, weil menschliche Lebenserfahrungen in unvertrautem Gewand erscheinen. Gleichzeitig erzählen sie etwas über die Menschen dort, über Sitten und Gebräuche, vielleicht auch über Religion. Darum werden zum Beispiel an multinationalen Schulen nicht nur Märchen aus unserem Kulturkreis erzählt, sondern auch aus fernen Welten, vor allem aus den Herkunftsländern der Kinder .

 

Zum Beispiel das afghanische Märchen von der braunen Ziege. Auf den ersten Blick ähnelt es dem Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein. Aber am Ende fordert dort die Geißenmutter den Wolf mutig zum Zweikampf, um ihre Kinder wieder zu bekommen. Der Wolf aber möchte sich seines Sieges ganz sicher sein und lässt sich die Zähne noch schärfer schleifen. Weil er den Schmied aber nur mit einem Haufen Mist bezahlt, lockert dieser die Wolfszähne. Natürlich fallen sie dem Wolf dann beim Zweikampf aus dem Maul.

 

An dieser Stelle lachen die Kinder, ob deutsch oder afghanisch. Ein Wolf, der im Kampf gegen eine Ziege die Zähne verliert! Diese Komik verstehen alle.

Viele afghanische Märchen beginnen übrigens mit einem Hinweis auf Gott: „Es war einmal in alten Zeiten, vor dieser Zeit, in diesem Lande, auf dieser Erde, unter dem blauen Himmel, außer Gott war niemand.“

 

Eine gute Grundlage für echte Begegnungen, finde ich. Denn uns Menschen verbindet nicht nur Lernen und Lachen, sondern auch die Frage nach Gott.

01.03.2018
Marianne Ludwig