Morgenandacht
Pawel Czerwinski / Unsplash
Macht Gottes und der Menschen
mit Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx
01.03.2022 05:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Mit entblößter Brust auf einem wilden Pferd – ein Muskelpaket voll vitaler Kraft. Wer erinnert sich nicht an diese Inszenierung. Putin, der bewunderte Held - aggressiv, männlich, unbesiegbar.  Aber das Bild ist alt; in den letzten Tagen und Wochen sah man ein anderes: Ein alter Mann, die  Hände an der Schreibtischkante festgekrallt. Statt Pokerface Hass und zynische Verachtung. Eine Drohung an jeden, der sich ihm in den Weg stellt. Aus dem russischen Helden ist endgültig der kalte, rücksichtlose Kriegsherr geworden. So einen wird niemand bewundern. Auch in Russland nicht.

Aber wer traut sich, das zu sagen? “Für diesen Krieg gibt es keinerlei vernünftige Rechtfertigung“, schreiben 640 russische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – darunter 65 Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften.  Die Unterschriften kamen an einem Tag zusammen. “Wir fordern die unverzügliche Einstellung aller gegen die Ukraine gerichteten militärischen Handlungen. Wir fordern die Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit des Ukrainischen Staates.  Wir fordern Frieden“, schreiben die  Wissenschaftler.

Die Worte sind lebendig und stark; man spürt die Nähe zu den Freundinnen und Verwandten in Kiew, Charkiw, Dnipropetrowsk. Das macht mir Hoffnung. Auf meiner Facebookseite sehe ich das junge Gesicht von Elena Kowalskaja – lächelnd, leuchtend. Ganz entspannt steht sie da in ihrer schwarzen Bluse – die Hände in den Hosentaschen ihrer Jeans. Die Direktorin des Moskauer Staatstheaters hat schon am ersten Tag der Invasion gekündigt.  „Es ist unmöglich, für einen Mörder zu arbeiten“, sagt sie. Unterschätzt die Macht der Kunst nicht, steht unter dem Facebook-Post, der wieder und wieder geliked wird. So habe ich sie Stunde um Stunde vor Augen: Elena Kowalskaja mit ihrem lächelnden, leuchtenden Gesicht.

Nein, unterschätzt nicht die Macht der Kunst. Und die Macht der ganz normalen Leute. Dicht an dicht standen die Menschen bei ihren Demonstrationen in Moskau und St. Petersburg, trotz Verbot. Schon nach drei Tagen waren 3000 festgenommen, eingesperrt. Unerträgliche Ohnmacht.

Tag für Tag rief Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, zu Waffenlieferungen an die Ukraine auf. Lange stieß er auf taube Ohren, bis Samstagnacht die Entscheidung fiel. Für die Abschaltung Russlands von SWIFT. Und für Waffenlieferungen an die Ukraine. „Mit einer Steinschleuder ist diesem Diktator nicht beizukommen.“

Immer wieder begegnet mir in diesen Tagen das alte Bild von David und Goliath. Der Hirtenjunge mit der Steinschleuder gegen den riesenhaften Philister in seiner Bronzerüstung. Realistisch betrachtet, hat er keine Chance. Die russische Armee, lese ich, sei der ukrainischen viermal überlegen. NATO-Generäle meinten, in 48 Stunden sei alles vorbei. Aber da stand Wolodomyr Selensky  in Kiew und hielt seine Rede an das russische Volk. Später sahen wir ihn   mit seinen Ministern. Im Parka, ohne Gewehr und Sturmhauben zeigen sie: Wir sind noch hier. Bei Euch. Aus Polen kamen seine Landsleute zurück und bewaffnen sich, um ihr Land zu verteidigen, darunter ein alter Mann von 8o Jahren. Und hinter den Grenzen stehen Freiwillige bereit, um zu helfen – mit Transporten, Betten, Essen und Trinken.

Ein verlorener Kampf? Putin wird diesen Krieg nicht gewinnen, lese ich in den Verlautbarungen aus Berlin, Paris und Brüssel. Nicht, wenn Europa zusammensteht. Die Demokratie ist stark. Schwer zu glauben, während Zivilisten, Kinder und Familien sterben.

Meine Hoffnung ruht auf Menschen wie den Künstlerinnen und Wissenschaftlern. Auf dem deutschen Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Kiew, der da geblieben ist. Meine Hoffnung ruht auf den kleinen Davids, die nichts haben als eine Steinschleuder, ihre Freiheit und Furchtlosigkeit. Und ihren Mut. In der biblischen Geschichte trifft er Goliath mit einem Kiesel an der Stirn, da, wo kein Helm ihn schützt. Und Goliath  fällt. Wir müssen die Mächtigen daran erinnern, dass ihre Macht auf tönernen Füßen steht. Dass Gottes Macht größer ist. Und manchmal spüren wir das in unseren Gebeten und in der Furchtlosigkeit der kleinen Leute.

 

Es gilt das gesprochene Wort.