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Feuer! Leidenschaft! Gesang! Schon als Kind fühlte ich mich von solchem Überschwang erschüttert: nichts ist da, was lähmt. Und ich bin frei! Bis heute halte ich Ausschau nach dieser Urkraft, will mich von ihr erfassen lassen.
Ich fand die Leidenschaft in Geschichten, auf den Spuren von König David, Josef, Jesus, Rut und Aaron. Doch seltsam: das Feuer erlosch augenblicklich, wenn Kanzelredner Gott so oft in den Mund nahmen, dass ich zu ertrinken meinte.
Heute ist es eher umgekehrt. Kaum einer sagt ganz direkt – Gott. Und ich beginne mich genau danach zu sehnen. Aber allenfalls ist von Spiritualität die Rede, was auf elegante Weise kühl klingt. Viele wollen achtsam sein, gefragt ist echtes Leben. Aber Gott? Das Wort scheint peinlich zu sein. Oder auch gefährlich! Es lässt mich etwas ahnen, das grenzenlos gewaltig ist und zart. Diese Macht ist nicht zu kontrollieren.
Ich staunte, als ich in den letzten Wochen ein Buch las, indem der Autor das selten gewordene Wort aussprach: „Mit Gott ums Leben kämpfen“ , heißt das Buch und ist gerade zum zehnten Todestag von Erich Zenger erschienen, des wohl bedeutendsten deutschsprachigen Bibelwissenschaftlers seiner Generation. Zenger verwendet in dem Buch das Wort allerdings nicht massenhaft, wie es mich als Jugendlichen abstieß. Er verabscheut ja selbst die „Gottprotze“, die vom Höchsten so sprechen, als ob sie gerade eine Lebensversicherung oder einen Bausparvertrag unterschrieben hätten.
„Zenger! Den musst du hören!“, hieß es, als ich in Münster Theologie studierte. Das wurde nicht zu laut gesagt, denn ich war an der evangelischen, einer eher kleinen Fakultät. Erich Zenger aber war Priester, Professor für Altes Testament an der Katholischen Fakultät, der größten theologischen Fakultät der Welt.
Im Hörsaal saßen mehrere hundert Menschen aus vielen Ländern, es war wie kurz vor der Zirkusvorstellung, wie im Theater. Erich Zenger konnte feinste Verästelungen der wissenschaftlichen Exegese referieren, brach ab und brachte dann den Text der Bibel zum Klingen.
Erich Zenger: Ich vergleiche das des Öfteren in einer Vorlesung mit der Inszenierung eines Theaterstücks oder auch mit der Interpretation eines Musikstücks. Das verlangt natürlich ein gewisses Maß von Kongenialität oder mindestens: Man muss die Texte lieben! Wer Mozart als Pianist nicht liebt, der wird Mozart schnell herunterklimpern. Nur wer Mozart liebt und sich hineinlebt und natürlich eine gewisse pianistische Technik hat, der wird Mozart so interpretieren, dass es Leute ansteckt. Und der ist darin zugleich im Gespräch mit musikalischen Zeitströmungen der jeweiligen Zeit. Also das ist ein sehr sensibles Geschäft. Und ich meine, dass auch bei dem Bibelwissenschaftler, der nicht nur Wissenschaft „l’art pour l’art“ oder für Kollegen treiben will, das gehört schon, ich hoffe, dass ich ein bisschen davon habe – Charisma hinzu. Ich glaube, das ist auch irgendwie so etwas wie Kunst.
Und nun saß ich Erich Zenger persönlich gegenüber, einige Jahre nach meinem Hörsaalerlebnis. Ich sprach ihn für ein Buch, das große Theologinnen und Theologen porträtierte. Es ging darum, wie sein Leben seine Theologie prägte. Auf jeden Fall so, sagte er, dass er den Namen des Lebendigen nie in Formeln ersticken wolle.
Am 5. Juli 1939, also genau heute vor 81 Jahren, wurde er im Altmühltal in Bayern geboren. Als er ein Jahr alt ist, stirbt sein Vater bei einem Unfall. Ab dem 12. Lebensjahr kann er kein Geld mehr von seiner Mutter erwarten, einer einfachen Arbeiterin. Er gibt Nachhilfe, arbeitet in den Ferien. Die Liturgie fasziniert ihn, er erlebt gute Pfarrer. Priester werden? Das kann er sich vorstellen. Auf dem bischöflichen Knabenseminar in Eichstätt wird er gefördert, aber auch von seinem humanistischen Gymnasium. Jetzt will er Musik studieren, doch schließlich lockt ihn das Bistum kurz vor seinem Abitur 1958 mit einem Studium der Katholischen Theologie an die Päpstliche Universität in Rom.
Dort hat er unzählige dogmatische Formeln auswendig zu lernen, was ihm dank eines glänzenden Gedächtnisses leicht gelingt. Doch Gott, festgezurrt in Formeln – das ist für ihn kalt, ohne Feuer. Heimlich besucht er das Päpstliche Bibelinstitut, studiert auch für sich sehr oft die Bibel. Ihren Charakter erlebt er als völlig anders als die dogmatischen Formeln. Und genauso eklatant unterscheidet die Bibel sich auch vom süßlichen Tonfall vieler Seelsorger.
Erich Zenger: Da wird neutralisiert, da wird besänftigt, da ist nichts von jener Leidenschaft der Suche nach Gott drin, die einfach der Bibel eigen ist. Die wissen, wer Gott ist, die wissen, was die Wahrheit ist, während in der Bibel grundlegend ist: Die Suche nach der Wahrheit. Grundlegend ist der Kampf um das Leben, um die Wahrheit. Der Kampf mit Gott, gegen Gott, das sind Dinge, die in der klassischen Dogmatik – es gibt natürlich andere Dogmatiker – die in der klassischen Dogmatik nicht vorkamen.
Dagegen erlebt Zenger die Bibel, insbesondere das Alte Testament, als befreiend realistisch, zum Beispiel das Buch Hiob. Dieser fromme Mann verliert seine Familie, wird furchtbar krank, schwingt sich zum Richter Gottes auf und wirft ihm dessen verbrecherische Taten vor. Eine von Zengers ersten Veröffentlichungen handelt von eben jenem Hiobbuch. Es protestiert, schreibt er, gegen „abgeschmackte unwirkliche Klischees“ und den „mild-pastoralen Schmalz aller Zeiten“.
Erich Zenger: Das, was ich da höre an Theologie, hat mit mir nichts zu tun. Da kam ich nicht vor – und zwar ich konkret mit meiner Biografie. Ich komme eben aus sehr armen Verhältnissen: Ich musste kämpfen, aber ich bin auch jemand, der sehr lebenslustig, sehr lebensfroh ist. Ich koche gern. Ich esse gerne. Und all dies, sozusagen der Alltag, der alltägliche Mensch, der gesellschaftliche Mensch, der politische Mensch – das kommt in dieser Theologie nicht vor.
Dann natürlich auch die großen Lasten, die ein Leben begleiten. Ich bin zunächst einmal dadurch von Leid von Anfang getroffen worden, weil mein Vater so früh starb und dass wir arm waren. Dann hat mich das Buch Hiob sehr früh beschäftigt. Das Bändchen, das ich darüber publiziert habe ist eigentlich als biografische Auseinandersetzung geschrieben worden, weil mein Bruder schon mit 33 Jahren schwer an Multiple Sklerose erkrankt ist. Und da habe ich mich damit auseinander gesetzt und habe ihm das Buch ja auch gewidmet.
Diese für viele Menschen so zentralen Fragen kommen in dieser traditionellen Theologie nicht vor. Die kommen dann höchstens in einer reflektierten Theodizee-Diskussion ganz am Rande vor, aber nicht das vitale Leiden.
Das aber findet sich im Alten Testament. Zenger will seinen Forschungsgegenstand lieber nicht als alt bezeichnen. Er wird einer der profiliertesten Vertreter des jüdisch-christlichen Dialogs. Und prägt den Begriff „Erstes Testament“, denn die jüdische Bibel sei der Grund des Christentums und immer wieder neu zu lesen. Für sein Lebenswerk, einen großen Bibelkommentar, gewinnt er jüdische Ausleger und Wissenschaftlerinnen. Die Kommentarreihe wird auch nach seinem Tod Band um Band weitergeführt, unter den Autoren sind auch evangelische Forscherinnen und Theologen.
Den Grund für diese Weite liegt in Heidelberg. Nach seinem Studium in Rom und in Jerusalem will er 1966 unbedingt noch in der Neckarstadt studieren, Heidelberg galt damals als Eldorado der alttestamentlichen Wissenschaft. Doch die Fakultät ist evangelisch. Zengers Bischof in Eichstätt hält die Idee für völlig abwegig. Und erfüllt ihm den Wunsch.
Erich Zenger: Die Vorlesungen, die ich damals hörte, unvergessen: Gerhard von Rad las Dodekapropheton. Seine Amos-Vorlesung – also grandios. Claus Westermann las damals Psalmen, das Thema, das mich ja seit langem beschäftigt. Einerseits großartige Vorlesungen, aber Westermann hatte nicht das Charisma des Künstlers, wie von Rad es war. Das war handwerklich. Ich vergesse das nicht: Ich assoziierte im Hörsaal immer, so sehr ich Westermann verehrte, so – Sägemehl: Das war so trocken. Also da musste man richtig durchatmen, um Luft zu bekommen.
Das war schon lustig, wenn man die beiden nacheinander hörte: Von Rad und Westermann – die waren ja fast gleich alt. Aber von Rad, dieser feinsinnige, sensible, geistreiche, künstlerische Mensch, der natürlich auch die Art und Weise, wie Westermann Bibel betreib, meiner gewissen Distanz, glaube ich, beurteilte. Westermann hatte ja damals den Begriff des „beschreibenden und berichtenden Lobliedes“ eingeführt und wollte den Begriff Hymnus abschaffen. Und wenn dann mal in der Exegese bei Amos der Hymnus vorkam, sagte von Rad sehr süffisant, ironisch: „Ja, Sie wissen, mein Schüler Westermann“, obwohl sie fast gleich alt waren – stimmte aber, er war sein Schüler: „Sie wissen ja, meine Damen und Herren, mein Schüler Westermann würde jetzt sagen: ‚Dies ist ein beschreibendes Loblied. Meine Herren, meine Damen: Das ist ein Hymnus. Wir bleiben dabei.
Und daran hielt sich Zenger. Sägemehl habe ich jedenfalls nie erlebt, wenn er im Hörsaal las. Seine Theologie ist hymnisch. Vor allem widmet er sich dem Psalter, diesem Buch der Lieder. Denn für Zenger ist eine lebendige Theologie letztlich kein Sprechen von Gott, sondern mündet in ein Reden zu Gott. Eine Theologie jedoch, die klug über ihren sogenannten Gegenstand parliert, empfindet er als tot. Deshalb sagt er direkt – Gott, aber nie so, als ob er sich des Ewigen sicher wäre.
Das ist es, was mich entzündet. Indem ich Gott anspreche, kann ich mit ihm streiten, klagen, ihn anklagen, muss meine Lebenslust nicht stutzen. Das wird mir heute, aktuell immer wichtiger. Und das ist so in den Psalmen. In ihnen findet sich überwiegend Dunkles, Krankheit, Klage und Gefahr. Sie enden aber mit gleich mehreren Halleluja-Liedern, mit Tönen, die das Leben feiern.
Erich Zenger: Und der Hymnus ist die Grundform, Ja zu sagen trotz allem, trotz des vielen Verneinungswürdigem dennoch „Ja“ zu sagen. Und der Psalter insgesamt schließt mit einem Hymnus, der eigentlich – formgeschichtlich gesprochen – kein Hymnus ist, sondern nur die geballte Aufforderung einen Hymnus zu singen, nämlich Halleluja zu singen. Das sind lauter hymnische Aufforderungen: Lobpreist den Lebendigen! Und zwar wird der ganze Raum durchschritten und dann werden alle Instrumente aufgeboten. Und dieser Hymnus ist nun gerade im Hebräischen wunderschön. Der ist angelegt als ein großes Crescendo, dann eine kurze Pause – und dann klingt das ganz ruhig aus mit dem Satz: Alles, was atmet, lobe, preise den Herrn. Und das muss man richtig Hebräisch hören, und ich will versuchen, das Hebräisch aufzusagen. Den Anfang und den Schluss kennen wir aus unserer liturgischen Sprache, das ist: Alleluja beziehungsweise Hebräisch natürlich: Hallelu-Ja. Lobpreiset Ja. Ja ist die Kurzform des Gottesnamens, also: Lobpreiset den Lebendigen. Also Hebräisch:
Halelu-Ja!
Halelu-El bekodscho. Haleluhubirkiaoso.
Haleluhubigburothaw. Haleluhuhkerovgudlo.
Haleluhubetekaschofar. HaleluhuBegebelwekinor.
HaleluhubetofumacholHaleljuhbminimweugav.
Haleluhubezilzele-schama. Haleljuhubezilzeleteruah.
Kol hanschamahthehalel-ja.
Halelu-ja!
Man merkt richtig das Crescendo: Lobpreiset mit dem Zimbelgeschmetter. Mit dem Zimbelschlag!!! Und dann kommt die Pause. Kol hanschamah tehallel-ja. Alles was atmet, lobpreise den Lebendigen. Halleluja.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Heinrich Schütz Psalm 150 Choir of King‘s College Cambridge
- Mozart Sonata 14 c-moll 1. Satz
- Heinrich Schütz Psalm 150 – Ende: Alleluja! Lobet den Herrn SWV 38 Richard Marlow Choir of King‘s College Cambridge
Literaturangaben:
Erich Zenger, Mit Gott ums Leben kämpfen. Das Erste Testament als Lern- und Lebensbuch, herausgegeben von Christoph Dohmen und Paul Deselaers, Herder Verlag, ISBN 978-3-451-39057-9