Klösterliches

Morgenandacht

Gemeinfrei via pixabay/ Tama66

Klösterliches
Pfarrer Jörg Machel
09.06.2022 - 06:35
29.01.2022
Jörg Machel
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Klösterliche Lebenskonzepte haben ihren Reiz. Es gibt eine erstaunliche Vielfalt an Modellen, für die unterschiedlichsten Bedürfnisse.

 

Da sind die Benediktiner, die in gemeinschaftlicher Kontemplation in oft beeindruckendem Gemäuer ihre Gottsuche leben. Ein besonderes Konzept verfolgen die Kartäuser. Sie sehen sich in der Nachfolge der Eremiten, der Einsiedler. Obwohl sie zusammen ein Kloster bewohnen, verzichten sie auf ein wirkliches Gemeinschaftsleben. Jeder lebt in seinem eigenen abgegrenzten Bereich und nur zur Messe findet man zusammen. Für die Franziskaner hingegen ist die Gemeinschaft ganz wichtig. Im Zusammenleben der Brüder und Schwestern sammeln sie die nötige Kraft, um draußen in der Welt für andere da zu sein.

 

Eine ganz außergewöhnliche Lebensgemeinschaft habe ich in der Naunynstraße in Kreuzberg kennengelernt. Gegründet wurde sie von drei Jesuiten. Ihnen ging es nicht darum gleichgesinnte religiöse Menschen zu einem geistlichen Konvent zusammenzuführen. Ihr Anliegen war es, ganz in der Tradition Jesu: ihre Tür offen zu halten für alle, die bedürftig sind.

 

„Kommt und esst“, so könnte über der Eingangstür stehen. Kommt und esst und wenn ihr Quartier braucht, legt euch nieder, hier ist ein Ort, hier könnt ihr sein.

 

Als Gemeindepfarrer in Kreuzberg habe ich Christian Herwartz kennengelernt. Er gehörte zu den Gründern dieser Wohngemeinschaft. Er hatte mich eingeladen zu einem der offenen Samstagsfrühstücke. Da steht die Tür besonders weit offen. Das wissen die Leute im Kiez bis heute. Da versammelt man sich um den großen Tisch, man isst und trinkt, plaudert, streitet und plant.

 

So habe ich es erlebt. Die meisten, die kommen, bringen etwas mit und der Tisch füllt sich. Es gibt reichlich zu essen und zu trinken und es gibt Geschichten. Gute Geschichten von schönen Begegnungen, Grüße von Leuten, die mal da waren und nun wieder auf Achse sind. Ein Kurde aus dem Irak hat seine Anerkennung als Flüchtling bekommen. Der Hund von Klaus musste nicht getötet werden, er hat mit dem Amtstierarzt eine Vereinbarung getroffen, den Hund bei seinen Sauftouren nicht mehr in die Kneipe zu nehmen. Das gab immer Stress.  Auch traurige Geschichten gibt es: von drohender Abschiebung, von Entmietungen wegen Eigenbedarf.

 

Kalle grüßt aus dem Knast. Er hat sich mal wieder eine Auszeit genommen. Immer wieder kommt er wegen Schwarzfahrens hinter Gitter. Regelmäßiges Essen und eine medizinische Versorgung tun ihm gut, da päppelt er sich auf. 

 

Das Klientel in der Naunynstraße unterscheidet sich deutlich von anderen christlichen Gemeinschaften. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten: das Armutsgelübde des Mönchtums, hier wird es notgedrungen praktiziert. Niemand hat Geld. Und wenn etwas geklaut wird – dann war es zuviel oder zu wertvoll. Man legt zusammen, irgendwie kommt man über die Runden. Selbst das Gebot der Enthaltsamkeit wird hier weitgehend gelebt. Einer der Mitbewohner sagt mir mit etwas gepresster Stimme: Wer will schon mit einem Penner ins Bett gehen. Ich frage, ob er sich wirklich so sieht? Jetzt eigentlich nicht mehr, antwortet er. Seit ich hier wohne habe ich tatsächlich ein anderes Selbstbild als damals auf der Straße. Aber das mit der Liebe ist noch weit weg, soweit bin ich noch lange nicht.

 

Die dritte Regel klösterlichen Lebens, der Gehorsam, der ist allerdings ein Problem. Hier gibt es keinen Abt, dem man gehorchen muss. Aber es gibt Regeln und die wollen beachtet werden. Daran muss man sich halten, wenn man dazugehören will. Aber die Toleranz für Abweichler ist groß. Zu groß manchmal, finden einige. Doch ohne solche Toleranz wäre die Grundregel verletzt – nämlich, dass die Tür besonders weit offen stehen soll.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

29.01.2022
Jörg Machel