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Die Sendung zum Nachlesen:
Er war hängengeblieben. Ein Engel. Erst neulich habe ich ihn entdeckt.
Letztes Jahr, im November, hatten wir im Garten einen lebendigen Weihnachtsbaum ausgesucht. Einfache Sterne und Engel aus Stroh sollten dem verwachsenen openair-Tannenbaum ein weihnachtliches Gewand geben. Es würde nicht schmerzen, wenn Regen, Wind oder Schnee dem Schmuck über die Adventswochen zusetzte. Aber die Engel und die Sterne integrierten auch den Garten in unsere alljährliche Weihnachtsvorfreude; zumal das jüngste Enkelkind eifrig beim Schmücken des Baumes im tristen November geholfen hatte.
Vielleicht war es das Kind sogar, das diesen Engel auf einen der unteren Zweige platzierte. Und dieser Engel muss dem Abschmücken im Frühjahr entgangen sein, er war hängengeblieben über die Monate. Auch jetzt noch immer schön anzusehen. Stroh hält durch. Die Flügel ausgebreitet und leicht nach oben gespreizt, so grüßte er mich, wie ich mich halbnackt im Liegestuhl der brütenden Hitze des Sommers der letzten Augusttage ergab.
Manchmal bleibt etwas hängen. Er muss ja da gewesen sein, als Russland am 24. Februar den Krieg in die Ukraine getragen hat. Sein Friedensgruß vom Weihnachtsfest genau zwei Monate zuvor hing noch in der Luft. „Friede sei mit euch!“ Ich hätte ihn hören können, fand mich Ende Februar angesichts des Krieges in der Ukraine aber wenig friedvoll vor. Ich ertappte mich mit Gedanken über Gegenschläge oder Anschlagsphantasien. Irgendetwas müsste man doch solch unverhohlener Aggression entgegensetzen. Meinen kleinen Frieden konnte ich bewahren bis heute, aber was wird er mich kosten, künftig? Gut, dass der Engel noch da ist, als Merkzeichen. Friede auf Erden ist seine Botschaft, tröstend und mahnend zugleich.
Engel. Die Bibel erzählt von ihnen so als gäbe es sie. Ich glaube, es gibt sie auch, aber sie reden nicht so unmittelbar. Und sie sind auch nicht so sichtbar wie mein Weihnachtsengel im Sommer am Tannenbaum. Ich glaube sie sind da und beginnen zu reden, wenn ich den Wahrnehmungen Raum gebe und Zeit lasse, ihre Botschaft an mich zu formulieren. Wenn ich nicht einfach drauflos reagiere.
Heute ist Michaelistag. Der Tag des Erzengels Michael und aller Engel. In der kirchlichen Tradition hat man versucht, Ordnung in die Vielzahl der Engel zu bringen. Dabei entstanden fragwürdige Engelshierarchien. So als müsste es eine Übersicht geben, die die irdische Welt benennbarer mit der himmlischen verbindet. Das Wesen der Engel aber ist nicht ihr Sein. Es ist ihre Botschaft. Persönliche Bewahrheitungen der Gegenwart Gottes, die sich in unser Erleben mischen, auch heute.
Manchmal bleibt etwas hängen.
Ein Mann erzählte mir von seiner Flucht damals nach dem zweiten Weltkrieg. Er war Kind. Zu schnell in die Rolle des Erwachsenen gedrängt, weil die Männer im Krieg waren. Und er beschrieb diese schreckliche Dunkelheit in den Wagons, auf der wie ewig wirkenden Reise in eine unbekannte Zukunft. Und der sonst wenig profilierte Gläubige erwähnte ein Licht als Gottesereignis, das merkwürdig ins Innere des Wagens schien; nicht vollmundig, vorsichtig tastend waren seine Worte, aber doch spürbar so, dass er sich diesem Phänomen nicht entziehen konnte. Bis heute in lebendigster Erinnerung für ihn.
Etwas bleibt hängen. Engel. Sobald man sie beim Namen nennt, entziehen sie sich, oder werden so liebevoll banal wie der vergessene Weihnachtsengel im Hochsommer. Und eine bleibende Botschaft haben sie doch!
Es gilt das gesprochene Wort.