Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Suhyeon Choi
Muttermilch des Glaubens
Morgenandacht von Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
13.05.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

An dem Tag, an dem eine kleine befruchtete Eizelle ihre kleine große Reise aufnimmt, ist unser aller Anfang. Mama und Papa ineinander verkeilt, verschlungen, verschwitzt, voller Hingabe. Meistens hat es so begonnen. Und wenn nicht? Die kleine befruchtete Eizelle tritt trotzdem ihre Reise an und sucht, wo sie sich einnisten kann. Für 40 Wochen. Diese heilige Zeit, die für alle gilt, wenn aus ihnen mehr werden soll, als sie jetzt sind. Seien es 40 Tage, 40 Wochen oder 40 Jahre. Die kleine Eizelle auf ihrer Reise kreist dabei nicht auf außerirdischen Bahnen, im kalten schwarzen Universum. Sie hat von Anfang an einen warmen und geschützten Raum zur Verfügung. Den Mutterbauch, die weibliche Höhle, wo aus der Eizelle ein ganzer Mensch wird. Morgen ist Muttertag und da muss man einfach an dieses Wunder erinnern.

Ein Prophet macht die Reise noch größer. Er beginnt bei der Stadt und führt zur Mutter und zu Gott:

Freut euch mit Jerusalem und jauchzt alle, die ihr sie liebt!

Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr um sie trauert!

Weil ihr saugen dürft und euch sättigen an den Brüsten ihres Trostes,

weil ihr schlürfen dürft und euch erquicken an den Brüsten ihres Glanzes.

Denn so spricht Gott: Ich breite bei ihr Frieden aus wie einen Strom und wie einen überschäumenden Bach den Reichtum der fremden Völker.

Ihre Säuglinge sollen auf der Hüfte getragen und auf den Knien geschaukelt werden.

Wie eine Mutter ihren erwachsenen Sohn tröstet,

so will ich euch trösten, und an Jerusalem sollt ihr getröstet sein.

Ihr werdet es sehen und euer Herz wird sich freuen, und eure Knochen sollen sprossen wie junges Gras. (BigS) Jes 66, 10-13

 

Eine große Friedensvision für diese Stadt, die immer noch so viel und täglich großen Trost braucht. Saugen, sättigen, schlürfen, erquicken. Stillen ist das schöne deutsche Wort dafür. Ein mystischer Zustand von Erfüllung. Leib und Seele werden satt. Das Kind ist darauf angewiesen und davon abhängig mit seinem ganzen Wesen. Wir sind angewiesene, bedürftige Wesen. Nicht überlebensfähig allein. Das Leben beginnt nicht mit mir selbst, es endet auch nicht mit mir allein. Es beginnt fragil und wird es immer bleiben. Du wirst immer wieder so bedürftig und gefährdet sein wie am Anfang. Angewiesen darauf, dass dir gegeben wird, was du dir nicht geben kannst.

„Religion ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit“ formulierte der Theologe Friedrich Schleiermacher im 19. Jahrhundert. Hier hat ein Mann den Beginn des Lebens mit Gott verbunden, so wie es der Prophet macht in seinem Trostbild. Mir kommt es so vor, als hätten wir sehr viel hinter uns zu lassen, um Gott so zu begreifen. Und um unser Zusammenleben danach auszurichten.

Nicht die Mutter religiös verherrlichen, das wäre ein grobes Missverständnis. Darum geht es nicht. Sondern: Gott als die mütterliche Kraft begreifen, die Leben schafft und erhält. In gegenseitigen Abhängigkeiten. In Beziehung. In Gerechtigkeit. Nicht in Herrschaft und Dominanz. Es braucht die Muttersprache des Lebens und des Glaubens in unseren Städten und Dörfern.  Der Schatz der Überlieferung ist reich daran. In allen Religionen.  Feindesliebe, Gastrecht, Sanftmut, Barmherzigkeit, Nächstenliebe. Auch das kann einer mit der Muttermilch trinken. Es sind Bollwerke gegen das Angst-Gen und die Angst gegen das Fremde in jedem Menschen. Gegen den Wahn, zu kurz zu kommen. Wertvoller zu sein als andere. Von dieser Brust, von dieser geistlichen Nahrung soll kein Mensch entwöhnt werden. Von ihr sollen auch die erwachsenen Frauen und Männer trinken. Sie fließt in Strömen für jede und jeden von uns. Und macht unsere Städte zu Orten des Friedens.

Es gilt das gesprochene Wort.