Nicht umsonst gelebt: Zu Erich Kästners 50. Todestag
von Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz
29.07.2024 06:35
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Seine Romane habe ich verschlungen. Allen voran "Emil und die Detektive", "Das fliegende Klassenzimmer" und "Das doppelte Lottchen" fast gleichauf. Erich Kästner ist bis heute Teil meines Lebens. Ein sehr schöner Teil! Meinen Kindern habe ich manches von ihm vorgelesen, mit ihnen die Verfilmungen seiner Bücher geschaut.

In Dresden kann ich das Erich Kästner Museum empfehlen, das im Haus seines Onkels eingerichtet ist. Als Erwachsener habe ich mich mit Kästners Roman "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" und seinen gesellschaftskritischen Texten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt und viel daraus gelernt. Heute vor 50 Jahren, am 29. Juli 1974, ist Erich Kästner gestorben.

Seine Gesellschaftskritik machte auch vor der Kirche nicht halt. Von der Kirche und ihren Hirten hielt er nicht viel. Uns Pfarrer traf sein vernichtendes Urteil – in vielem zu Recht. Aber auch Jesus selbst kriegte sein Fett weg: Schon 1930 schrieb Kästner das Gedicht "Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag". Einige Verse daraus:

 

Zweitausend Jahre sind es fast,
seit du die Welt verlassen hast,
du Opferlamm des Lebens!
Du gabst den Armen ihren Gott.
Du littest durch der Reichen Spott.
Du tatest es vergebens!

Du kämpftest tapfer gegen sie
und gegen Staat und Industrie
und die gesamte Meute.
Bis man an dir, weil nichts verfing,
Justizmord, kurzerhand, beging.
Es war genau wie heute.

Die Menschen wurden nicht gescheit.
Am wenigsten die Christenheit,
trotz allem Händefalten.
Du hattest sie vergeblich lieb.
Du starbst umsonst.
Und alles blieb
beim alten.

 

Jesus hatte einen hohen Anspruch, scheiterte mit allem, was er wollte, wurde ermordet, alles blieb beim Alten, er ist umsonst gestorben, lautet Kästners Fazit in dem Gedicht.

Als Christ glaube ich, dass es mit dem Justizmord an Jesus nicht vorbei war, sondern dass Jesus vom Tod auferstanden ist. Deswegen bin ich da anderer Meinung. Und noch  aus anderen Gründen würde ich meinem verehrten Erich Kästner hier widersprechen. Aber zunächst einmal hat er in vielem Recht: Es ist so vieles beim Alten geblieben, und einiges in der Kirchengeschichte ist wahrlich kein Ruhmesblatt für uns Christinnen und Christen. Der Moralist Kästner hat die Kirchen in seiner Lebenszeit, im Ersten und noch im Zweiten Weltkrieg und auch noch danach meist auf der falschen Seite erlebt.

Da stimme ich seiner Kritik zu, widerspreche ihm aber im entscheidenden Punkt: Jesus hat nicht umsonst gelebt. Selbst wenn man den Glauben an seine Auferstehung nicht teilt, hat Jesus nicht vergebens gehandelt, ist nicht umsonst gestorben. Wenn es so wäre, hätte Kästner dieses Gedicht ja gar nicht zu schreiben brauchen, ja, er hätte es auch gar nicht schreiben können, denn von Jesus wäre uns dann schlicht nichts überliefert.

Kästner schreibt sein Geburtstagsgedicht gerade, weil er herausgefordert ist vom Revolutionär Jesus. Im Grunde beschreibt er Jesus als Idealisten, der seine Ziele nicht erreicht hat – wie Kästner selbst später auch. Und wenn Kästner in seinem Wortlaut recht hätte, dann hätte auch er selbst, Kästner, umsonst gelebt. Denn auch er hat seine Ziele nicht erreicht. In späten Jahren hat er nicht mehr das Gefühl gehabt, durchzudringen und das zu bewirken, was er wollte: eine friedliche, demokratische, gerechte Gesellschaft.

Depressionen und Alkoholprobleme machten ihm zu schaffen. Die Welt ist nicht so geworden, wie er sie gewollt hat. Aber Kästner hat die Welt ein ganzes Stück schöner, liebenswerter und heller gemacht. Jedenfalls trifft das für mein Leben zu. Ich möchte seine Geschichten, Gedanken und Gedichte nicht missen.

Jesus ist nicht umsonst gestorben und Kästner hat nicht umsonst gelebt, im Gegenteil. So werde ich mir Kästners Kritik an der Kirche weiter zu Herzen nehmen und fröhlich weiter in seinen Werken und in der Bibel lesen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literatur zur Sendung:

  1. Erich Kästner: Gedichte. Gesammelte Werke, Bd. 1. Köln 1959, S. 207f.

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