Sendung zum Nachlesen
Mit seinem Album "Wild God | Wilder Gott" tourt er gerade durch Europa: Nick Cave, australischer Musiker, Dichter, Schauspieler – und Schmerzensmann. Ich bin dabei, als er mit seiner Band in Hamburg spielt. Dunkle Stimme, gehaltvolle Texte, die blau-schwarzen Haare nach hinten gestrichen. Im dunklen Anzug des Predigers schreit Nick Cave seine Zweifel von der Bühne und seine Sehnsucht nach Erlösung.
Er ist jemand, der glauben will, es aber oft nicht kann. Also wirft Nick Cave sich immer wieder in den Glauben hinein. Dieses Zweifeln, keine Attitüde, ein Lebensthema. Es findet sich in den Büchern von Nick Cave, in seinem Blog "The Red Hand Files". Und es klingt lange vor dem "Wild God" in früheren Liedern an. Der Song "Into My Arms" (1) * von 1997 ist geradezu das Glaubensbekenntnis eines Zweiflers:
Einspieler: "I don't believe in an interventionist God / But I know, darling, that you do …"
"Ich glaube nicht an einen Gott, der in unser Leben eingreift. […] Aber wenn ich es täte, würde ich niederknien, Gott bitten, sich herauszuhalten, wenn es um dich geht. Nicht ein Haar auf deinem Kopf zu krümmen. […] Und falls er spürt, er müsse dich leiten, dann in meine Arme."
Einspieler: "Into my arms, O Lord / Into my arms, O Lord …"
"Into My Arms" wird eines seiner wichtigsten Lieder, sagt Nick Cave. (2) Der Schmerz, den er darin verarbeitet, steht allerdings in keinem Verhältnis zu den Schicksalsschlägen, die dem aktuellen Album "Wild God" vorangegangen sind. Zwei Söhne sterben. 2015 stürzt Arthur im LSD-Rausch die Klippen hinab. 2022 wird sein Sohn Jethro leblos in einem Hotelzimmer gefunden.
Nick Cave wirft sich in die Trauer. Er durchlebt sie mit seiner Frau. Bis in die Fingerspitzen drückt der Kummer. Eine intensive Zeit, die die beiden zusammenschweißt. Nach der Tragödie kommt die Hoffnung, nach dem Schmerz die Freude. So einfach, so erschreckend, so brutal beschreibt Nick Cave seine Glaubenserfahrung.
Der wilde Gott, wie er ihn erlebt, ist nicht der Allmächtige, sondern ein Leidender an den Verhältnissen. (3) Nick Cave schreibt in seinem Online-Tagebuch: "Gottes "[…] Präsenz ist in den dunkelsten und grausamsten Momenten am intensivsten." (4) Trotzdem vertraut der Musiker darauf, dass Gott die Liebe ist. Davon singt er auf der Wild-God-Tour. Streicht durch die blau-schwarzen Haare, wirft sich beinah von der Bühne. "Ich glaube an die Liebe. Ich weiß, du tust es auch. Ich glaube an eine Art von Weg, den wir gehen können …" (5)
Einspieler: "And I believe in Love / And I know that you do too / And I believe in some kind of path …"
Die Liebe als kleinster und zugleich größter gemeinsamer Nenner, an den Menschen glauben können. Sie ist der Mantel, in den Gott sich kleidet, so wie Nick Cave in den dunklen Anzug des Predigers. Wer liebt, der ist in Gott, fällt "in seine Arme", sagt die Bibel (vgl. 1. Johannes 4,16).
Mit Nick Caves Worten über die Liebe wandelt sich das Glaubensbekenntnis eines Zweiflers in eine Vertrauensaussage. Das geschieht behutsam, tastend, braucht Zeit – im Lied wie im Leben des Musikers. Und damit hat er recht, finde ich. Liebe lässt sich nicht erarbeiten. Aber wenn sie da ist und bleiben soll, braucht sie jede Menge Arbeit. Manchmal unter Schmerzen. In seinem Online-Tagebuch schreibt Nick Cave wenige Wochen vor Veröffentlichung des Albums "Wild God": "Dass Gott die Liebe ist, ist eine hart verdiente Wahrheit."
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben:
(1) Nick Cave & The Bad Seeds, Into My Arms (Track 01): The Boatman’s Call (1997).
(2) N.Cave / S. O'Hagan, Faith, Hope and Carnage, 2022, S. 51.
(3) Nick Cave & The Bad Seeds, Wild God (Track 2): Wild God veröffentlicht am 30.08.2024: Bad Seed – BS023V, Bad Seed – BS023VC, Play It Again Sam – BS023V, Play It Again Sam – BS023VC, Play It Again Sam – 29472
(4) Nick Cave, LOOKING FOR MY OLD FRIEND GOD: The Red Hand Files: Issue #285 / May 2024. https://www.theredhandfiles.com/god-and-i-have-always-been-very-tight/.
(5) Bei der Wild-God-Tour singt er es oft als Zugabe. Zum Beispiel am 24. September in Ober-hausen. Vgl. https://www.setlist.fm/setlist/nick-cave-and-the-bad-seeds/2024/rudolf-weber-arena-oberhausen-germany-13abc965.html | https://www.reddit.com/r/NickCave/,
(6) M.Surall (Hg.), Nick Cave – Ein Popkosmos in Songs und Literatur, Hannover 2017.
Musikangaben:
(1) Nick Cave: Into My Arms. Nick Cave & The Bad Seeds – The Boatman's Call.
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage!