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Wer wie Theodor Fontane am 30. Dezember Geburtstag hat, wird wohl immer das Gefühl haben: Weihnachten kommt jedenfalls zuerst. In Fontanes Romanen wird wenig Geburtstag gefeiert, aber sehr oft Weihnachten. Mit allem, was nach alter Sitte dazugehört: einer Schlittenfahrt durch die schneebedeckte Landschaft, golden geschmücktem Weihnachtsbaum, mit Bescherung, Kirchgang und großem Weihnachtsessen. Ja, die Sterne müssen funkeln und der Baum glänzen, aber kitschig oder auch nur besonders gefühlvoll wird‘s bei ihm nie. Fontane ist Realist: Weihnachten ist für ihn das Fest der gemischten Gefühle, bei dem die himmlische Erwartung noch immer auf dem Teppich allzu menschlicher Spannungen landet. So hat er es ja selbst alle Jahre wieder erlebt – von Kindesbeinen an. In seinen Erinnerungen "Meine Kinderjahre" erzählt er, wie schon der Advent auch seine Schattenseite hatte:
Wir durften nicht nur mit in die Backstube hinein, darin es überaus anheimelnd, nach bitteren Mandeln und geriebener Zitrone roch, sondern erhielten auch als Weihnachtsvorgeschmack, eigens für uns Kinder gebackene kleine Wecken, alles reichlich zugemessen. "Ich weiß", sagte meine Mutter, "dass sie sich den Magen daran verderben, aber das ist besser, wie wenn sie knapp gehalten werden. Sie sollen all diese Zeit über eine Festfreude haben, und die bringt ihnen ein Festkuchen am besten bei."
Es hat was für sich und bei ganz robusten Kindern mag es das unbedingt Richtige sein. Aber so robust waren wir doch nicht, dass es für uns so ohne weiteres gepasst hätte. Mir war denn auch, um Weihnachten herum, immer sehr weinerlich zumute.
Der volle Bauch macht eben nicht bloß glücklich. Aber sollte die Weihnachtsstimmung nicht doch die Herzen höherschlagen lassen? Bloß wie kommt sie zustande? Fontane erzählt: nicht ganz ohne Verlegenheit:
Wie herkömmlich verbrachten wir die Stunde vor der eigentlichen Bescherung in dem kleinen (...) Wohnzimmer meines Vaters, das absichtlich ohne Licht blieb, um dann den brennenden Weihnachtsbaum, den meine Mama mittlerweile zurechtmachte, desto glänzender erscheinen zu lassen. Mein Vater unterhielt uns, während dieser Dunkelstunde, so gut er konnte, was ihm jedesmal blutsauer wurde. (….) Sonst ein so glücklicher Humorist, konnte er den richtigen Ton bei solchen Gelegenheiten nie treffen. (...) Er sagte dann wohl zu sich selbst, fast als ob er sich auf eine richtige Stimmung hin präparierte: Ja, das ist nun also Weihnachten … An diesem Tage wurde der Heiland geboren…. Ein sehr schönes Fest…." und hinterher wiederholte er all diese Worte auch wohl zu uns und sah uns dabei mit zurechtgemachter Feierlichkeit an.
Und wenn es dann endlich so weit war, dass die Kinder singend ins Weihnachtszimmer einziehen durften, wenn es endlich zur viel bewisperten Bescherung kam, dann war das auch nicht so einfach:
Verwirrt und befangen standen wir, auf den Baum starrend, um die Tafel herum, bis die Mama uns endlich bei der Hand nahm und sagte: "Aber nun seht euch doch an, was euch der Heilige Christ beschert hat. … hier das, unter der Serviette, das ist für dich und deinen Bruder. Nimm nur fort."
Und nun zögerten wir nicht länger und entfernten die Serviette. Was obenauf lag, weiß ich nicht mehr, vielleicht zwei große Pfefferkuchenmänner oder Ähnliches. Jedenfalls etwas, was uns enttäuschte. "Seht nur weiter" – und nun nahmen wir, wie uns geheißen, auch das zweite Tuch ab. Ah, das verlohnte sich. Da lagen, gekreuzt, zwei schöne Korbsäbel, also genau das, … was wir uns so sehnlichst gewünscht hatten. Und so stürzten wir denn auf die Mama zu, ihr die Hände zu küssen. Aber sie wehrte uns ab und sagte auch diesmal wieder. "Seht nur weiter..." und in einem Aufgeregtheitszustand ohnegleichen, denn was konnte es nach diesem Allerherrlichsten noch für uns geben, wurde nun auch die dritte Serviette fortgezogen.
Aber alle Himmel, was lag da! Eine aus weißem und rotem Leder geflochtene Riemenpeitsche. Meine Mutter hatte erwartet, unsere Freude durch diese scherzhafte Behandlung des Themas gesteigert zu sehen. Aber nach der Freudenseite gingen meine Gedanken und Gefühle durchaus nicht. Ganz im Gegenteil. Ich war außer mir und lief in den Garten hinaus, um da wieder zu mir selbst zu kommen, was freilich nicht glücken wollte. Die Weihnachtsfreude war hin, war an einem gut gemeinten, aber verfehlten Scherz gescheitert.
Eine Peitsche zum Versohlen – die gibt‘s heute zu Weihnachten nicht mehr. Aber vielleicht doch verfehlte Scherze. Fontane schließt mit dem immer noch bedenkenswerten Satz:
"Es soll an diesem Abend nicht erzogen, sondern erfreut werden, und der, dem diese Aufgabe zufällt (…), muss sich doch notwendig die Frage vorlegen, ob der zu Erfreuende an dem, wodurch man ihn erfreuen will, wirklich eine Freude haben kann."
Wie sein Vater wurde Theodor Fontane zunächst Apotheker, entschied sich dann aber mit 30 Jahren, als Journalist und freier Schriftsteller zu leben – eine finanziell riskante Existenz. Dankbar nahm er darum die Möglichkeit an, als Pressemann für die preußische Regierung nach London zu gehen. Nach England zog es ihn ja sowieso. Zur Weihnachtszeit machte er dort allerdings die Erfahrung, dass die Engländer dabei waren, deutsche Bräuche zu übernehmen: Statt des Mistelstraußes an der Decke gab es nun auch hier in den Weihnachtszimmern überall geschmückte Tannen. Und Knecht Ruprecht brachte die Geschenke. Ein bisschen wehmütig berichtete er davon nach Deutschland:
Jeder neue Weihnachtstisch ist ein Sieg unserer deutschen Sitte. … Das Weihnachtsfest, dessen häusliche Feier ein soziales Fest, ein Fest der Ausgleichung, der Brüderlichkeit im schönsten Sinn war, ist ein Kinderfest geworden…. und im Einklang mit dieser Wandlung präsentieren sich jetzt die Londoner Straßen. … An Kauflustigen mangelt es nicht. In der Mittagszeit sind die zur Stadt fahrenden Omnibusse bis auf den letzten Platz besetzt. Damen, junge und alte, sitzen sich in langer Reihe einander gegenüber und haben etwas von der ernsten Würde des Weihnachtsmannes.
Mit Kindern Weihnachten zu feiern, war Fontane selbst in den Londoner Jahren zunächst nicht vergönnt. Seine Familie durfte erst spät nachziehen. Traurig war das auch für die Daheimgebliebenen. Zum Trost bekamen sie ein kleines Gedicht:
Die Weihnachtszeit ist wieder da
Mit Tannen und mit Lichtern
Ich stünde gern als Herr Papa
Unter lachenden Gesichtern
Doch, ach, zu fremdem Gänse-Genuss
Nach Brompton fahr ich im Omnibus
Es geht nun mal nicht anders.
Es geht nun mal nicht anders – dieser Satz wurde eine Art Leitmotiv für die mühseligen Londoner Jahre, in denen Fontane für sehr wenig Geld unglaublich viel arbeiten musste – auch am Weihnachtstag. Und dass er sich doch ein bisschen einsam fühlte, klingt zwischen den Zeilen des Briefs durch, den er am 2. Weihnachtsfeiertag 1856 an eine Freundin schrieb:
Mein Weihnachtsabend war passabel. Den Tag über hatt ich einen langen Artikel für die Illustrierten Monatshefte, ein neues Blatt in Braunschweig, geschrieben, machte dann im furchtbarsten Wetter meine kleinen Einkäufe und kam endlich nass und kalt bei Mr. Alberts an. Zum Glück war noch niemand da und so setzt ich mich denn an den Kamin und trocknete mich, wie man ein nasses Handtuch trocknet; meine dicken Stiefel dampften dermaßen, dass ich bald in einer Wolke von Wasserdampf saß. Nach einer halben Stunde kam man, dann wurde aufgebaut und die Liebenswürdigkeit des Wirts erzeugte eine passable Heiterkeit.
Zu seinem 40. Geburtstag war Fontane wieder zurück in Berlin – ohne feste Anstellung weiterhin ständig in Geldsorgen. Da gab es natürlich keinen Kaufrausch zu Weihnachten – bloß Weihnachtsgrüße wie diesen:
Meine liebe, gute Mama,
der Ceremoniemeister des diesmaligen Weihnachtsfestes hat angeordnet: "Die Herren erscheinen mit leeren Händen, die Damen schließen sich den Herren an." So stehn die Sachen, aber wenigstens mit leerem Herzen wollen wir nicht kommen und so nimm unsere herzlichsten Glückwünsche an. Wir werden den Heilig-Abend natürlich im engsten Zirkel zubringen und die Heiterkeit der Kinder wird ersetzen müssen, was sonst wohl fehlt. Glücklicherweise sind wir beide nicht so geartet, dass die Abwesenheit von Samt und Seide uns besonders bedrückt.
Glück hatte Fontane wirklich mit seiner Frau Emilie, die ihn bei seiner literarischen Arbeit sehr unterstützte und die ewigen Geldsorgen tapfer ertrug. Zu Weihnachten bekam sie von ihrem Mann nur etwas Kleines, Nützliches und dazu ein paar Reime, so zum Beispiel
Gekommen ist der Heil‘ge Christ,
Die ganze Stadt voll Lichter ist,
Auch unsre sollen brennen.
Die Sorgen weg und zünde an.
Ich will derweil, so gut ich kann,
dir meine Wünsche nennen.
Empfang zuerst ein Strumpfenband,
das ich für 30 Pfengk erstand
Bei Fonrobert im Laden.
Ich wünsche dir, geliebtes Weib,
Bald wieder einen dünnern Leib
Und etwas dickre Waden.
Da fragt man sich doch, ob Fontane seine Einsicht, dass Geschenke jedenfalls erfreuen sollen, denn selbst beherzigt hat. Ein paar Jahre später bekommt Emilie dann von ihrem Mann Kamm und Seife zu Weihnachten – wiederum von Versen begleitet:
Nur stramme Liebe, ums recht zu bedenken,
Kann‘s wagen, Kamm und Seife zu schenken.
Und glücklich die Ehe, wo Frau und Mann
Sich Kamm und Seife schenken kann.
Auszuhalten hatte die gute Emilie nicht nur die ärmlichen Lebensverhältnisse, sondern auch öfter mal die schlechte Laune ihres Gatten. Eine gewisse Weinerlichkeit um Weihnachten herum scheint Fontane sein Leben lang geblieben zu sein. Davon konnte er dann allerdings mit Humor erzählen:
Die Festlichkeit gestern war eigentlich eine völlig verfehlte Affaire, da sich alles in zwei Heerlager geteilt hatte, in Grippe-Habende, die weggeblieben waren, und Grippe-Kriegende, die bitterlich froren und eigentlich nur einmal den Ausdruck natürlicher Heiterkeit annahmen – als die große Kutsche vorbeifuhr, die sie abholte…. Auch mir schmeckt alles erst heute. In der Regel sind unsre Gäste sehr heiter und animiert bei uns, trotzdem stimmen Emilie und ich darin überein, dass es angenehmer ist, Gast als Wirt zu sein. Namentlich auch billiger.
Es ist eine nachweihnachtliche Geburtstagsfeier, von der er hier an seine Mutter schreibt – am Tag nach seinem 41. Geburtstag. Dreißig Jahre später allerdings blickt er dann zu Weihnachten doch versöhnlich auf sein Leben zurück. Mit 71 Jahren weiß er: Auf ‚Fest‘ reimt sich das bedenkliche Wörtchen ‚Rest‘ –
Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest
Aber nehm ich so die Summe
Alles Grade, alles Krumme
Alles Falsche, alles Rechte
Alles Gute, alles Schlechte
Rechnet sich aus allem Braus
doch ein richtig Leben raus.
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.
Zum richtigen Leben gehört eben auch das Krumme – und wie immer Ihnen zu Weihnachten nun zumute ist: Nehmen Sie‘s wie Fontane: mit Humor.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
Winter Wonderland, Wolfram Lattke (Tenor), Martin Lattke (Tenor), Rank Ozimek (Bariton), Daniel Knauit (Bass), Holger Krause (Bass), amarcord: Coming Home for Christmas
Literaturangaben:
- Theodor Fontane: Meine Kinderjahre (1893). Zitiert nach: Und wir sehen schon den Stern. Weihnachten mit Fontane. Hg. Jens Dittmar. Aufbau-Verlag, Berlin 2018.
- Theodor Fontane: Tannenbaum und Stechpalme, (zwischen 1855 – 1859). In: Sämtliche Werke hrsg. Walter Keitel, Aufsätze, Kritiken, Erinnerungen, Bd. 1, München, Hanser 1969.
- Theodor Fontane: An Emilie (1856). Zitiert nach: Und wir sehen schon den Stern. Weihnachten mit Fontane. Hg. Jens Dittmar. Aufbau-Verlag, Berlin 2018.
- Theodor Fontane: An Henriette von Merckel (1856). Zitiert nach: Theodor Fontane, Weihnachten mit Theodor Fontane, Hg. Michael Adrian, Fischer Klassik Ffm. 2009.
- Theodor Fontane: An Emilie Fontane (Mutter) 21.12.1859. Zitiert nach: Und wir sehen schon den Stern. Weihnachten mit Fontane. Hg. Jens Dittmar. Aufbau-Verlag, Berlin 2018.