Das Paradies ist nicht verloren

Am Sonntagmorgen

Gemeinfrei via unsplash/ Simon Berger

Das Paradies ist nicht verloren
Visionen für eine bessere Zukunft
10.07.2022 - 08:35
10.06.2022
Angelika Obert
Über die Sendung:

Die jüngste Generation geht auf die Straße und fordert einen radikalen Wandel in der Klimapolitik. In der Kirche hat sich der Begriff 'Paradising' etabliert. Er bedeutet: Umkehr zum Leben und ist eine Aufforderung, selbst aktiv zu werden. Pfarrerin Angelika Obert im Gespräch mit den Theolog*innen Sarah Köhler und Constantin Gröhn.

 
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‚Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung‘ – vor über dreißig Jahren haben die christlichen Kirchen unter diesem Motto ihre gesellschaftliche Verantwortung zusammengefasst. Es herrschte so etwas wie Aufbruchsstimmung in den 80er Jahren – und bis zur Friedlichen Revolution sollte es dann ja nicht mehr lange dauern.

Jetzt herrscht keine Aufbruchsstimmung mehr, im Gegenteil: Es ist sehr ungewiss, wie es um unsern Lebensraum auf der Erde in Zukunft bestellt sein wird. Aber sollte das nicht erst recht ein Grund sein, endlich tätig zu werden mit neuem Aufbruchswillen?

Die jüngste Generation geht auf die Straße und fordert einen radikalen Wandel im Denken und Handeln – es geht schließlich um ihre Zukunft. Und auch in der Kirche weiß man: Es müssen neue Fragen her, neue Ideen. Dazu hat sich jetzt eine Gruppe junger Theologen Gedanken gemacht und ein Konzept entwickelt. Unter dem Motto: ‚Paradising – Umkehr zum Leben‘. Frage an die Autorin Sarah Köhler: Warum reicht es nicht, von der ‚Bewahrung der Schöpfung‘ zu sprechen?

 

Sarah Köhler:

Begriffe nutzen sich ab. Wir leben in anderen Zeiten und wir hantieren mit anderen Begriffen und Begriffe erzielen Wirkung. Und wir haben uns über die Wirkung Gedanken gemacht – und haben festgestellt, dass die Wirkung dieses sehr nominalen Begriffs für junge Menschen nicht mehr so ansprechbar ist und auch nicht so wirklich den Aktivismus aktiviert, den wir uns wünschen, auch zu sehen.

 

Darum wurde nach einem neuen Wort gesucht, einem Wort, das Sehnsucht weckt und zum Tun einlädt: Paradising. Und was ist damit nun gemeint? Dazu sagt der Mitautor des Konzepts Constantin Gröhn:

 

Constantin Gröhn:

Paradising kann man sehr schön ins Deutsche übersetzen: zum Beispiel ‚paradeisen‘ oder ‚paradiesen‘ und das kann was sehr Aktives sein, aber auch was Passives, also was Empfangendes – geben und empfangen ist da schon beides mit drin. Und … wir haben uns dazu Gedanken gemacht – dass es darum geht, ja, die Paradiese, die wir wahrnehmen, die auch zu schützen, zu bewahren, vielleicht zu verteidigen, aber auch, dass man daran mitwirken kann, Paradiese entstehen zu lassen, aber dass es eben auch etwas Wahrnehmendes gibt, dass Paradiese schon da sind und dass Paradiese auch entstehen.

 

Es gibt sie ja, die Orte, an denen das Leben stimmt, die wir ganz von selbst ‚paradiesisch‘ nennen. Daran wollen Sarah Köhler und Constantin Gröhn anknüpfen – und zugleich dazu einladen, zerstörte Lebensräume wieder zurückzugewinnen. Es reicht eben nicht mehr, die von Menschen schon sehr angegriffene Schöpfung nur zu bewahren.

 

Constantin Gröhn:

Was wir mit ‚paradiesen‘ verbinden, ist auch eine Vorstellung von Integrität einer Schöpfung, so wie sie war, die gut ist, die noch ganz ist … – ökologisch haben wir also etwas, wo wir nicht nur etwas bewahren müssen, sondern wo wir auch wieder etwas schaffen müssen.

…und was wir auch an Bewahrung der Schöpfung etwas kritisieren, dass bei dem Bild der Bewahrung nicht deutlich wird, dass wir also ein Teil sind, sondern das Gegenüber stärker betont wird und dass wir also mit paradising auch die Verbundenheit stärker betonen wollen, dass wir also mit andern Lebewesen, dass wir miteinander eben verbunden sind und ja damit auch aufeinander angewiesen.

 

So geht es darum, wieder neu zu lernen, dass Menschen die Natur nicht einfach beliebig beherrschen können, sondern sich wirklich als ein Teil der Schöpfung verstehen, von der sie empfangen, was sie zum Leben brauchen – so wie es in der Schöpfungsgeschichte der Bibel gesagt wird. Was ganz am Anfang der Bibel steht, kann man auch als Zielvorstellung verstehen, meint Sarah Köhler: Warum sollten Menschen all ihr Können und Wissen nicht einsetzen, sich dem Garten Eden wieder anzunähern?

 

Sarah Köhler:

Es braucht positive Bilder und zielgerichtete Zukunftsvorstellungen, damit Menschen sich auch bewegt fühlen, loszugehen. Die Katastrophe als Aussicht hat gezeigt, dass sie uns nicht in die Bewegung versetzt – im Gegenteil oft, sie führt dazu, im Hier und Jetzt auszukosten, was es heute noch gibt und morgen nicht mehr geben wird. Das heißt, ohne positive Zukunfts- und Zielvorstellungen werden Menschen nicht motiviert werden, in eine neue Welt zu gehen, in eine andere mögliche Welt zu gehen, die weg vom Materialismus geht.

 

Paradising – mit dieser Wortschöpfung wollen Sarah Köhler und Constantin Gröhn Sehnsucht wecken nach einem Leben wieder in Freundschaft mit der Schöpfung – so wie es in der Geschichte vom Garten Eden am Anfang der Bibel erzählt wird. Aber ist das Wort ‚Paradies‘ heute nicht längst abgenutzt? Constantin Gröhn meint:

 

Constantin Gröhn:

Natürlich gibt es ganz viele Paradiese und das ist sehr harmonistisch oft und ist auch sehr von unserer Konsumwelt geprägt, also in Hamburg habe ich jetzt gerade neu das Fleischparadies entdeckt, aber es gibt auch die Döner-Paradiese, und es gibt Sauna-Paradiese, also es gibt alle möglichen Paradiese und die werden uns so vorgegeben und vorgesetzt – und das sind aber noch nicht die Paradiese, die wir tatsächlich als Paradiese erkennen müssen.

 

Es wird Zeit, sich von den Sauna- und Bettenparadiesen zu verabschieden und wieder zu gucken, was in der Bibel wirklich mit dem Paradies gemeint ist, diesem Ursprungsort, aus dem die Menschen dann vertrieben wurden. Aber das, sagt die Theologin Sarah Köhler, gehörte ursprünglich gar nicht zur Schöpfungsgeschichte. Die ist über einen längeren Zeitraum entstanden und im Anfang ging es da gar nicht um Strafe, sondern um Lebensraum:    

 

Sarah Köhler:

…in der Grundschicht erzählte die Geschichte zunächst erst mal nur, dass Gott den Menschen erschafft, dass er ihn in Fürsorge erschaffen hat, er schafft ihm eine Gehilfin, die ihm entspricht und dass er sie anzieht, er kleidet sie und zur Vermehrung schickt: die Welt bevölkern. Und er schafft die Menschen in einen Lebensraum, der für sie funktioniert, nämlich mit Pflanzen und Tieren. In dieser Grundschicht ist eben das Beziehungsgefüge: Gott – Mensch – Verhältnis ist ungestört, es ist ein Verhältnis der Fürsorge, aber auch des Angewiesenseins. Gott schafft den Lebensraum für den Menschen und er ist derjenige, der uns den Atem einhaucht und uns Leben ermöglicht.

 

Dieser Lebensraum, der da für den Menschen geschaffen wird, ist in der biblischen Erzählung ein Garten, fest umgrenzt, ein Schutz vor der Wildnis der Natur – und es wird auch genau beschrieben, wo er liegt: im Zweistromland, zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Der Garten Eden ist also kein mythischer Ort, er hat geografische Koordinaten. Aber für die ökologischen Herausforderungen von heute sind die doch wohl zu eng gesteckt:

 

Sarah Köhler:

Heute müsste man die Grenzen des Raumes erweitern und das Paradies - und das tun wir ja im Paradising auch – nicht bis an die Grenzen eines Gartens, sondern sozusagen, die Erde ist unser Paradies, die Erde ist unser Garten. Das ist der Lebensraum, den Gott gegeben hat, der Bedingungen hat, in denen wir ausreichend leben könnten, wenn wir diese Lebensbedingungen, diese Lebensgrundlagen nicht gefährden würden. Die Bedrohung ist nicht mehr nur die Natur, die wilden Tiere usw., sondern die Bedrohung sind wir selber geworden, sowohl für uns selbst, für unsere Lebensgrundlagen als auch für die Ausrottung, die wir betreiben, dass 130 Tierarten pro Tag aussterben.

 

Die Schöpfung ist aus der Balance geraten – durch das gewaltsame Eingreifen von Menschen, die das Maß verloren haben für ein gutes Leben im Einklang mit dem Dasein auf der Erde. Es ist höchste Zeit, die Balance wieder zu suchen – und das bedeutet auch, unsere Vorstellungen zu überprüfen von dem, was wir heute für ‚normal‘

halten, sagt Sarah Köhler:

 

Sarah Köhler:

Leben im Einklang bedeutet, Rechte und Pflichten und Normalitäten jeden Tag zu hinterfragen auf eine Ausgewogenheit zwischen wo ist meine Freiheit und wo fängt das Leben des anderen an und wie können Freiheitsräume miteinander in Einklang gebracht werden, dass Leben ermöglicht werden wird für alle – und dieses Hinterfragen kann man täglich machen und es ist noch nie, zu keinem Zeitpunkt, normal gewesen, dass ich ein Recht habe auf ein Haus, ein Recht auf einen Studiengang, ein Recht auf einen Vorgarten, ein Recht auf eine Studienreise nach Amerika… es ist für uns Normalität im globalen Norden, weil unser Nachbar das auch hat… Aber global gesehen war das noch nie normal, beruhte das immer auf einer Ausbeutung, auf einer menschenrechts- und vielleicht umweltverletzenden Ebene gegenüber anderem Leben.

 

‚Paradising – Umkehr zum Leben‘ – unter dieser Überschrift wollen Sarah Köhler und Constantin Gröhn Lust machen auf ein Leben, das weder Menschen noch Tieren Gewalt antut, – vielmehr dazu beiträgt, dass die Zukunft wieder etwas paradiesischer wird. Dafür müssen wir uns von unsern Normalitätsvorstellungen verabschieden, hat Sarah Köhler gesagt: genügsamer werden. Aber es geht beim Paradising nicht nur um Verzicht, sondern auch darum, Genüsse wiederzuentdecken, die Viele wohl schon aus dem Blick verloren haben, sagt Constantin Gröhn:

 

Constantin Gröhn:

Es gibt eben auch, finde ich, was ganz Lebenspraktisches bei dieser Vorstellung vom Paradising, die sehr anregend ist. Also, es kann einfach auch sein, dass man wirklich sich wieder bewusst macht, also, in was für einem Paradies leben wir, also – mal in den Wald gehen, sich irgendwo hinzulegen in die Sonne, ins Gras – also, wann machen wir das eigentlich? Stattdessen fliehen wir oder bewegen wir uns in einer künstlichen menschlichen Welt, digitalen Welt inzwischen und erleben jedenfalls Natur eigentlich nicht….

 

Nun, das gilt für die Menschen, die auf dem Land leben, vielleicht nicht so sehr wie für diejenigen in den großen Städten. Aber auch da – oder gerade da – lässt sich das Paradising sehr aktiv betreiben, meint Sarah Köhler:

 

Sarah Köhler:

Sie sind in Berlin und da ist das Döner-Paradies und Sie gehen vorbei: Erster Schritt von Paradising: Sie hinterfragen: Ist das überhaupt ein Paradies? Hinterfragen der Normalitätsvorstellung oder die Paradieskultur: Was wird mir hier überhaupt als Paradies verkauft? Zweiter Schritt: Sie möchten gern in einen Park, ein bisschen Stille – gibt’s nicht. Ok. Erstreiten Sie sich diesen Freiraum, gründen Sie eine Bürgerinitiative für einen Park, für ein Ruhewald, für ein geschütztes Waldgebiet. Seien Sie auf jeder Demo, die für Naturschutzgebiete sich einsetzt, damit Sie Räume haben, die funktionieren ohne menschlichen Einfluss, wo Sie aber Teil sein dürfen, Gast sein dürfen.

 

Und dann könnten die Menschen aus der Stadt und die vom Land sich ja auch darüber austauschen, welche Visionen sie vom Leben im Einklang haben, meint Constantin Gröhn:

 

Constantin Gröhn:

Ich habe auch gedacht, dass es sehr spannend sein kann, da ins Gespräch zu kommen und das mal miteinander auszudiskutieren, also was gehört eigentlich für uns zum Paradies dazu. Und da haben wir natürlich ökologische Komponenten, aber auch sicherlich Gerechtigkeitsvorstellungen und Friedensvorstellungen und das muss da, glaub ich, alles mit in den Diskurs.

 

Es soll schon auch gestritten werden, wenn es um die Vision einer guten Zukunft geht - Paradising lädt nicht zum Kuscheln und Wegträumen ein – im Gegenteil: Es will Mut machen zum Handeln – ganz realistisch:

Constantin Gröhn:

…ich finde wichtig, dass das positive Bild auch realistisch ist und deswegen sind wir auch dabei, diesem Paradiesbegriff etwas von dem Unerreichbaren herunterzuholen, also zu sagen: Wir haben auch paradiesische Gegebenheiten, in denen wir leben und es gibt Paradiese, die sind schon da – die haben wir manchmal in unserm Umfeld, …von daher: ein positives Bild haben, aber es nicht in unerreichbare Ferne rücken…

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
 

  1. Gerhard Gundermann, Soll sein, CD-Titel: Einsame Spitze
10.06.2022
Angelika Obert