Sendung nachlesen:
Geh aus, mein Herz und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.
So beginnt das beliebte Sommerlied von Paul Gerhardt. In 15 Strophen malt der Liederdichter ein Bild von der sommerlichen Natur, besingt Narzissus und die Tulipan, die Bächlein im Sand und die Bäume voller Laub, die Lerche in der Luft und das Täublein aus der Kluft. Auch die Menschen haben ihren Platz inmitten der überfließend reichen Flora und Fauna des Schöpfungsgartens.
Paul Gerhardt hat sein Sommerlied 1653 gedichtet. Da waren nach 30 Jahren Krieg Dörfer zerstört und Gärten und Felder zertrampelt. Da gab es nicht viel zu sehen von blühender Natur und überfließend reicher Labsal. Und das menschliche Gemüte war sicher nicht in jauchzender Stimmung.
Umso erstaunlicher – diese übersprudelnde Freude, in solch dunkler Zeit. Und fast trotzig klingt es, wenn der Liederdichter auffordert: Geh aus, mein Herz, komm heraus aus der Depression, schau doch genau – oder anders – hin! Such die Freude, der Gärten Zier, ausgeschmücket dir und mir!
Das ist barocke Dichtkunst, aber kein unrealistischer Kitsch. Es ist lebenszugewandte Zuversicht – trotz allem. Und für Paul Gerhardt Anlass, Gott den Schöpfer zu loben. Denn ihm verdankt er ja all das Schöne:
Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.
Dieser Blickwechsel auf die Schönheit der Schöpfung ist auch in unserer Zeit nicht selbstverständlich. Denn die Medien führen täglich das andere vor Augen: Krieg und Terror. Das tötet Menschen. Das hat fatale Folgen für die Umwelt: Verbrannte Wälder, kontaminierte Böden, vergiftetes Wasser. Überlebende finden oft für lange Zeit keinen Lebensraum in ihrer Heimat. Jahre und Jahrzehnte braucht die Natur, um sich vom Krieg zu erholen, wenn überhaupt.
Am 1. September 1939, heute vor 80 Jahren, hat mit dem Überfall auf Polen der 2.Weltkrieg begonnen. Jeder Krieg ist ein Krieg gegen unsere schöne Erde.
Wie sehr aber auch im Frieden wir Menschen die Natur – Wasser, Luft und Boden – ausbeuten, gierig und achtlos, ungehemmt und letztlich selbstzerstörerisch – das nicht zu wissen, kann heute niemand mehr behaupten. Wir alle müssten zutiefst erschrecken. Eigentlich. Über uns selbst. Und daraus endlich Konsequenzen ziehen. Denn die Zeit drängt.
Wie sehr sie drängt, z.B. beim Thema Klimaschutz, das zeigt nicht nur ein junges Mädchen, das sich mit einem Papp-Plakat in der Hand und viel Wut-Mut im Herzen monatelang vor ein Parlament setzte und damit eine internationale Bewegung auslöste.
Auch Wissenschaftler, z.B. der Weltklima-Rat, warnen eindringlich. Auch Wirtschaftswissenschaftler. Einer von ihnen ist Niko Paech, Uni-Professor und renommierter Post-Wachstums-Ökonom. Er fordert das Ende der herrschenden Wachstums-Ideologie. Stattdessen eine De-Growth-Bewegung, eine Reduzierung in allen privaten und gesellschaftlichen Lebensbereichen. Vordringliches Ziel ist, den CO2-Ausstoß zu verringern:
Niko Paech:
„Das einzige, was uns dazu hilft … ist eine Reduktion unserer Ansprüche. Nur die Selbstbegrenzung, nur ein Minus, nur die Fähigkeit, nein zu sagen, oder – wie es in der Fachsprache heißt, … suffizient zu leben, nur das kann uns dazu verhelfen, tatsächlich CO2 einzusparen.“
Meine Kirchengemeinde hatte Niko Paech zu einem Vortrag eingeladen und der Professor brachte die 150 meist jugendlichen Zuhörer ganz schön ins Nachdenken mit seinen Forderungen: Nicht jedem Massen-Mode-Trend hinterhershoppen. Auf Luxus-Fliegerei verzichten. Usw.
Selbstbegrenzung – nach Niko Paech buchstäblich not-wendig, damit nicht nur die Umwelt, sondern auch wir überstressten Leute und unsere ganze Gesellschaft überleben:
Niko Paech:
„Suffizienz heißt nichts anderes als Genügsamkeit, Entschleunigung, Übersichtlichkeit, Ballast abwerfen. Und die Suffizienz beruht letzten Endes nicht auf einer Verzichtsleistung, sondern auf der Einsicht, dass wir überhaupt nicht nur etwa vor ökologischen … Wachstumsgrenzen stehen in Mitteleuropa und in anderen Konsumgesellschaften, wir stehen vor eklatanten psychischen Wachstumsgrenzen.“
Der Wachstumskritiker entwirft das Bild eines „anderen“ Lebens: Besitz gemeinsam nutzen. Sachen reparieren statt schnell wegwerfen. Dinge handwerklich-künstlerisch selbst herstellen. Und dabei eigene, z.B. auch gärtnerische Kompetenzen entdecken und Anerkennung erleben. Er meint, dass wir so....
Niko Paech:
„schlicht und ergreifend ein zufriedeneres Leben führen. ... zufriedener als Leute, die keine Anerkennung, dafür aber einen SUV haben. Oder die im Wirtshaus damit prahlen, dass sie an der Karibik-Küste waren, aber eigentlich nichts können – außer Geld ausgeben.
Eine Könnensgesellschaft anstelle einer gierigen Besitzgesellschaft ist das Gegenmodell zu dem, was wir gegenwärtig … zelebrieren und das alles hat zufälligerweise noch den Nebeneffekt, weil wir einfach damit ja sparsamer und selbsttägiger leben, dass wir die Schöpfung Gottes bewahren.“
Nachhaltigkeit ist für Niko Paech auch ein soziales Thema, eine Frage der Gerechtigkeit:
Niko Paech:
„Nachhaltigkeit ist ... mehr als Ökologie. Nachhaltigkeit heißt globale Gerechtigkeit und Ökologie. ... Menschen, die über ihre Verhältnisse leben, schädigen nicht einfach nur die Ökosphäre, sie leben ungerecht.
Sie maßen sich Dinge an, die ihnen nicht zustehen können auf einem nun mal begrenzten Planeten. Das heißt also, globale Gerechtigkeit im 21. Jahrhundert wirft die Frage auf,
wer darf sich noch wie viel an materiellen Freiheiten nehmen ohne ökologisch und damit gleichsam sozial über seine oder ihre Verhältnisse zu leben. Das ist die entscheidende Frage. …
An dem Vortragsabend wurde klar: Ja, wir müssen diskutieren und forschen. Auf Straßen demonstrieren und in Parlamenten Gesetze erlassen. Um-denken und um-kehren. Einfach … anders … leben.
Für Christen sind solche Gedanken nicht unbekannt. Den Schöpfer loben, zerstörerischen Umgang mit der Schöpfung bekennen, gemeinsam, in Liedern und Gebeten, und sich für die Bewahrung der Schöpfung ganz praktisch und auch politisch engagieren – das gehört untrennbar zusammen.
Gott gab uns Atem, damit wir leben, er gab uns Augen, dass wir uns sehn.
Gott hat uns diese Erde gegeben, dass wir auf ihr die Zeit bestehn.
Gott gab uns Ohren, damit wir hören. Er gab uns Worte, dass wir verstehn.
Gott will nicht diese Erde zerstören. Er schuf sie gut, er schuf sie schön.
Um dies immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, gibt es den „Tag der Schöpfung“. Ursprünglich war er eine Anregung aus der Orthodoxen Kirche. Denn das Loben und Preisen von Schöpfer und Schöpfung spielt in orthodoxer Tradition und Liturgie eine besondere Rolle. Patriarch Dimitrios I. hatte für seine Kirche bereits 1989 einen besonderen Feiertag für die Schöpfung angeregt. Und zwar für den 1.September, den Beginn des orthodoxen Kirchenjahrs.
Ein schöner Impuls: Am Anfang des Jahres den Ur-Anfang bedenken. Sich darauf besinnen, was das alte nizänische Glaubensbekenntnis so sagt:
„Wir glauben an den einen Gott, den allmächtigen Vater, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt.“
Dieser Gaubens-Satz ist allen Christen gemeinsam und er wirbt um Vertrauen: Gott der Herr hält die Welt in seiner Hand. Er ist es letztlich, der sie erhält. Und aus diesem Glauben an den Schöpfergott wächst gegen alle Depression, aber auch gegen alle Panikmache, die Motivation zum Handeln:
Gott gab uns Hände, damit wir handeln. Er gab uns Füße, dass wir fest stehn.
Er will mit uns die Erde verwandeln. Wir können neu ins Leben gehn.
Die ursprünglich orthodoxe Initiative verbreitete sich in die anderen Kirchen hinein. So empfahl 2007 die europäische ökumenische Versammlung in Sibiu, dass der ganze Monat September dem Gebet für den Schutz der Schöpfung und der Förderung eines nachhaltigen Lebensstils gewidmet wird, um den Klimawandel aufzuhalten.
Und beim 2. Ökumenischen Kirchentag 2010 in München wurde der Ökumenische Tag der Schöpfung von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland offiziell proklamiert. Die zentrale Feier des Schöpfungstages findet immer am ersten Freitag im September statt. Dieses Jahr am 6. September auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Heilbronn.
Das Motto des Schöpfungstages 2019 lautet: „Salz der Erde“. Das Motto passt zur Stadt Heilbronn, denn unter ihr lagert ein riesiges Salzvorkommen, das bis heute abgebaut wird.
„Ihr seid das Salz der Erde.“ Mit diesem Bildwort beschreibt Jesus von Nazareth in seiner berühmten Berg-Rede seinen Freunden und Freundinnen damals – und damit allen Christinnen und Christen bis heute -, wozu sie da sind in der Welt.
Typisch Jesus: kurz, knapp, klar: Ihr seid! Nicht fordernd: Ihr sollt sein. Nein, ganz selbst-verständlich: Ihr seid! Salz der Erde.
Das Element Salz – einerseits auch selbstverständlich: Wer denkt schon über Salz nach im normalen Alltag? Erst wenn es fehlt, fällt es auf.
Aber Salz – andererseits auch besonders: Seit alter Zeit bis heute aufwändig abgebaut und exportiert. Vielfältig genutzt und wissenschaftlich erforscht. Lebenswichtig für den Körper. Notwendig, um Nahrung genießbar und hilfreich, um sie zu haltbar zu machen.
Salz – würzend und konservierend, heilend und ätzend, tragend und schmelzend. Unscheinbar und faszinierend!
Ihr seid das Salz, das Salz der Erde. ...
Salz sein – zum Beispiel so: Langeweile-Leben würzen. Menschen, die ihr Leben als fade und leb-los empfinden, auf den Geschmack eines sinnvollen Lebens bringen, mit allen Sinnen.
Oder so: Hass-Eis zum Schmelzen bringen.
Eingefrorene Beziehungen erwärmen. Hässliche Hass-Postings beenden. Gefühlskaltes Mobbing gegen anders Denkende, anders Aussehende, anders Lebende stoppen.
Oder so: Schmerz-Wunden heilen.
Wahrnehmen, wenn jemand verletzt ist. Anderen Menschen heilsam begegnen. Aber auch: Salz in Wunden der Gesellschaft streuen. Das kann weh tun, aber Fäulnis klärt sich und Veränderung hat eine Chance.
Salz sein – so: In Untergangs-Angst tragen. Im Tränenmeer von Traurigkeit anderen Menschen beistehen. Ihre Lebensangst mittragen, bis die Seele wieder Luft kriegt. Aber auch: sich politisch einmischen, damit Menschen auf der Flucht in ein lebenswertes Leben nicht untergehen im Meer.
Und so: Lebens-Werte erhalten. Dabei aber gerade nicht rückwärtsgewandt denken und alte Strukturen und Ordnungen um ihrer selbst willen bewahren. Sondern von der Zukunft her fragen: Welche Werte geben Orientierung für ein respektvolles, gerechtes Zusammenleben? Sich dafür einsetzen, dass unser Leben „enkel-tauglich“ ist, in diesem Sinne konservierend.
Salz ist immer wenig im Verhältnis zur Masse drumherum. Minderheit sozusagen. Nur so wirkt es positiv. Wenn es zu viel ist, dominant, wird das Ganze ungenießbar.
So gesehen ist das Salz-Wort von Jesus ein Minderheiten-Mutmach-Wort. Mutmachend gerade angesichts der erschreckenden Studien, die den großen Kirchen für die nächsten Jahre einen massiven Einbruch der Mitgliedszahlen voraussagen. Aber die kleiner werdende Zahl, der schwindende Einfluss – das ist auch eine Chance. Sie fordert heraus, sich selbst neu zu entdecken: Was ist unser Profil als Christen, was die Salzkraft von Kirche für eine nach-christliche Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass Impulse ausgehen vom Ökumenischen Tag der Schöpfung 2019 – beim Festgottesdienst auf der Bundesgartenschau in Heilbronn und durch die vielen verschiedenen Aktionen überall im Land in diesem Monat.
Dass Christinnen und Christen neu begeistert werden, das zu leben, was sie sein sollen und eigentlich schon sind: Salz der Erde. Damit Gerechtigkeit und Frieden sich ausbreiten und das Leben Zukunft hat auf unserer schönen Erde.
Ihr seid das Salz, das Salz der Erde ...
Es gilt das gesprochene Wort.