Licht der Hoffnung

Morgenandacht
Licht der Hoffnung
23.11.2020 - 06:35
20.11.2020
Matthias Viertel
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Die Sendung zum nachlesen: 

 

Wir Menschen sind bedürftige Wesen. Wir brauchen so vieles, um leben zu können. Zunächst die Nahrung wie alle anderen Lebewesen auch, aber damit ist es lange noch nicht genug. Wir brauchen auch Kleidung, weil wir sonst frieren. Wir brauchen Fahrzeuge, weil wir zu langsam sind. Wir brauchen Energie aus Kraftwerken, weil unsere eigenen Kräfte so schnell erlahmen. Wir brauchen Computer, weil unser Denken die komplexe Welt nicht mehr überschauen kann. Wir brauchen Fernsehen, weil wir so schnell Langeweile empfinden. Wir brauchen Handys, weil wir uns einsam fühlen. Ja, wir brauchen wirklich so viel und immer noch mehr.

Als Theologe meine ich: Das, was wir am meisten brauchen, ist Hoffnung. Ohne Hoffnung lebt es sich nicht richtig, dann verkümmern wir und vergraben uns im Leid. Deshalb sind Menschen, die als Hoffnungsträger gelten, so wichtig geworden. Aber das ist oft nur ein kurzlebiger Funke, weil es sich dabei eben auch nur um Menschen handelt, mit beschränkten Möglichkeiten. Wir brauchen Hoffnung, die über diese endliche Welt hinausreicht.

Das ist in diesen Tagen besonders zu spüren: Gestern war der letzte Sonntag im alten Kirchenjahr. Er ist der Vergänglichkeit gewidmet, deshalb nennen Christen ihn Ewigkeitssonntag. Viele sprechen auch vom Totensonntag. In den Gemeinden wird an diesem Tag traditionell an jene Menschen gedacht, die im vergangenen Jahr gestorben sind. In meiner Gemeinde haben wir dazu immer die Hinterbliebenen persönlich eingeladen und dann im Gottesdienst die Namen der Verstorbenen vorgelesen, einen nach dem anderen, und dann zu jeder Person eine brennende Kerze auf den Altar gestellt. Nach dem Gottesdienst konnten die Angehörigen die Kerze mitnehmen. Denn auch das gehört zur Tradition: dass man am Totensonntag auf den Friedhof geht, dort eine Kerze entzündet oder einen Kranz niederlegt.

In diesem Jahr ist auch das anders. Gottesdienste mit vielen Menschen sind wegen der Ansteckungsgefahr nicht möglich, und so blieben viele Trauernde allein zuhause. Diesmal konnten sie nicht alle in die Kirche eingeladen werden und dort den Trost der Gemeinschaft erfahren. Gerade jetzt, wo für viele die Einsamkeit an sich schon schwer zu ertragen ist, fällt das umso stärker ins Gewicht. Klar, der Mindestabstand ist wichtig, er verhindert Infektionen und dient so der Sicherheit aller. Zugleich betont der Sicherheitsabstand aber die Einsamkeit. Mir fehlt der gemeinsame Gottesdienst und auch das Ritual mit den Kerzen.

Kerzen sind ein Zeichen von Zusammenhalt. Das tun sie am Totensonntag, wenn wir unserer Angehörigen gedenken. Das tun sie auch, wenn wir nach einer Katastrophe oder einem Attentat Kerzen auf die Straße stellen. Es ist immer ein Ausdruck von Anteilnahme, eine symbolische Handlung, die so viel sagt wie: Ich bin in Gedanken bei dir, ich lasse dich nicht allein und teile dein Leid mit dir. Gleichzeitig aber, und das macht die Kerzen so unersetzlich, ist das flackernde Licht der kleinen Flammen ein Ausdruck für die geteilte Hoffnung.

Und deshalb sind die Kerzen auch das, was den vergangenen Totensonntag und den kommenden Advent miteinander verbindet. Die geteilte Hoffnung ist die Brücke zwischen dem traurigen Rückblick und einer Erwartung, die in die Zukunft weist. Die Kerzen, die am Sonntag noch zusammen mit Kränzen auf die Friedhöfe gebracht wurden, um der Toten zu gedenken – sie schmücken nun die Adventskränze. Die Lichter, die den Trauernden zeigen, dass sie nicht allein sind, erhellen nun Dörfer, Städte und Wohnungen. Das Licht der Kerzen zeigt, wie beides zusammenhängt. Und es wird spürbar: Auch wenn wir Christen nur eingeschränkt in Gottesdiensten zusammenkommen können: die Hoffnung teilen wir dennoch. Jede kleine Kerze im Advent vertreibt die Einsamkeit und sagt: Du bist nicht allein!

„Hoffnung, die man sieht, ist nicht Hoffnung“, sagt Paulus im Römerbrief, „denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?“ (Röm 8,24) Doch im flackernden Licht der Kerzen zeichnen sich die Umrisse ab, und was viel wichtiger ist: Man kann die Wärme der Hoffnung zwar nicht sehen aber spüren.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.11.2020
Matthias Viertel