Warte nur…

Morgenandacht
Warte nur…
30.11.2016 - 06:35
24.11.2016
Pfarrerin Sandra Zeidler

Es gibt keine Wartesäle mehr. Spätestens wenn man am zugigen Bahngleis steht und der ICE sich „auf unbestimmte Zeit verzögert“, wird einem das fröstelnd bewusst. Im Nürnberger Hauptbahnhof gab es einen wundervollen Wartesaal, holzgetäfelt, mit kleinen Nischen, in denen man sitzen konnte wie im Vierer-Abteil im D-Zug. Man hat eine Tasse Beuteltee bestellt und dann angefangen, die Mitwartenden zu beobachten, dabei die große Uhr über der Schwungtür nicht ganz aus den Augen verloren, denn irgendwann wird auch dieses Warten ein Ende haben.

 

Warten scheint aus der Mode gekommen. Ich kann ja jetzt alles gleich ruckzuck erledigen. Ein Klick hier und das Weihnachtsgeschenk ist bestellt, ein Wisch da und die spontane Verabredung steht. Warten ist out. Obwohl – auf das Paket vom Onlinekaufhaus muss ich ja auch warten... Also wartet man stumm in sein Schicksal gefügt, bewacht den Kaffee und hält Ausschau nach dem Paketboten. Das Wort Warten genau hängt genau damit zusammen: bewachen und Ausschau halten, garder und regarder im Französischen, behüten und beobachten. Dem kann man vorzüglich nachgehen, während man wartet. Fragen Sie mal einen Wärter!

 

Jetzt sind wir wieder mittendrin in der Wartezeit des Jahres, im Advent. Vom ersten Advent bis zum 24. Dezember herrscht die formvollendete Zeit des Wartens. Des Erwartens. Erst die eine Kerze, dann die nächste und so weiter...Das erste Türchen, das zweite, dritte, vierte,... Da muss doch noch was kommen... Diese kleinen Rituale sollen die lange Wartezeit versüßen. Good things come to those who wait, sagt der Brite und schenkt sich noch eine Tasse Tee ein. Abwarten. Samuel Beckett, der irische Schriftsteller, hat der Legende nach zehn Jahre lang auf dem Sofa gelegen und gewartet. Nicht schlecht! Beckett hat auf die Inspiration gewartet. Und es hat sich gelohnt: eines Tages fiel ihm seine Theaterstück „Warten auf Godot“ ein. Die Literaturwissenschaft hat versucht, mehr über Becketts Sofa-Inspiration herauszufinden. Und es hat sich gezeigt, dass sich beim Warten in seinem Geist die verschiedensten Dinge verbunden haben: eben dieses Warten, seine Kindheitserinnerungen, die Bewunderung für Shakespeare, sein theologisches Wissen – aus all diesen bisher unverbundenen Dingen entstand „Warten auf Godot.“ Da sitzen zwei an irgendeiner Landstraße und warten auf einen gewissen Godot, den keiner kennt und der nie auftaucht. Ob es ihn überhaupt gibt, weiß man auch nicht. Am Ende von jedem Akt erscheint ein Bote, ein junger Hirte, der verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögert, er aber ganz bestimmt kommt. Die Zwei vertreiben sich also weiter die Zeit mit endlosen Diskussionen und sinnlosen Spielen, streiten sich und versöhnen sich wieder.

 

Wenn man wartet, dann muss man doch eigentlich auch wissen worauf. Oder auf wen. Als Kind saß ich am Heiligen Abend bei meiner Oma auf dem grünen Sofa und habe gewartet. Wenn es vom Wohnzimmer her gebimmelt hat, dann ist das Christkind da gewesen und das Warten hatte sich gelohnt. Und heute, als Erwachsene? Worauf warte ich? Erwarte ich noch was? Von mir? Vom Leben? Vom lieben Gott? Erwarte ich, dass die Zeiten sich bessern, dass einer kommt, der die Welt versöhnt, die Bruchstücke zusammensetzt, der mich heilt?

 

Oder warte ich nur noch ab, bleib ich hocken am zugigen Bahngleis meines Lebens und lass die Züge an mir vorbeirauschen, weil die eine Richtung so langweilig ist wie die andere und überhaupt: was ist das Ziel?! Was soll ich machen mit meiner Wartezeit? Endlos diskutieren, streiten und mich wieder versöhnen? Sinnlose Spiele?

 

Die Wartezeit des Jahres, der Advent, hat Besseres mit mir vor. Der Advent gibt nicht auf, er kommt alle Jahre wieder, pünktlich wie manchmal auch die deutsche Bahn :-) Seine Ermutigung: Setz dich hin, komm zur Ruhe. Das Gute kommt zu denen, die warten können. Der Engel sagt zu den Hirten, die auf dem Feld wachen bis die Nacht vergeht: Fürchtet euch nicht! Euer Warten wird ein Ende haben.

24.11.2016
Pfarrerin Sandra Zeidler