Epitaphe

Wort zum Tage
Epitaphe
23.11.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel

Epitaph, das ist griechisch und bedeutet „auf dem Grab“. Der Begriff verbindet sich für mich vor allem mit den Steinreliefs in alten Kirchen. Als Student habe ich Touristen durch das Doberaner Münster geführt und ihnen die Symbolik der vielen Epitaphe erklärt, die dort zu sehen sind.

 

Liegt ein Löwe zu Füßen des verstorbenen Mannes, so steht der für dessen Kraft und seinen Mut, der Hund zu Füßen der Gattin soll ihre Treue symbolisieren. Es finden sich Symbole der Vergänglichkeit auf den Grabplatten wie die gekreuzten Knochen oder der Totenschädel. Die Sanduhr erinnert an die unaufhörlich rinnende Zeit und die Endlichkeit jeden Lebens.

 

Weil das Doberaner Münster von Zisterziensern erbaut wurde, finden sich dort auch die Gräber der Äbte, die dem Kloster vorstanden. Zunächst war nur der Hirtenstock auf dem Grabstein abgebildet, schlicht und einfach, ganz nach dem Regelwerk dieses Armutsordens, der allen Prunk verabscheute. Diese strenge Auffassung lockerte sich im Laufe der Jahrhunderte, wie man auf den Epitaphe nachverfolgen kann. Bald gab es die erste abstrakte Abbildung des Abtes und von Generation zu Generation wurde die Bilder präziser, so dass man am Ende tatsächlich eine konkrete Person zu erkennen meinte. So läßt sich der Geist der Zeit an der Gestaltung der Grabsteine ablesen.

 

Das gilt bis in die Neuzeit. Die meisten Berliner Friedhöfe sind nicht viel älter als zweihundert Jahre, aber schon in dieser vergleichsweise kurzen Zeitspanne lassen sich sehr unterschiedliche Epochen der Bestattungskultur erkennen. Hat man im Kaiserreich noch pompöse Grabanlagen für die Familiendynastie bauen lassen, so bevorzugen heute selbst wohlhabende Familien vergleichsweise einfach gestaltete Grabstätten.

 

Als überwiegend trist empfinde ich die Steinmetzarbeiten, die die Friedhofskultur nach dem zweiten Weltkrieg dominieren. Der Nierentisch im Wohnzimmer fand sein Pendant in der leicht geschwungenen Linie des Grabsteins. Und auf den Abraumhalden der Friedhöfe stapeln sich Steine mit der immer gleichen Aufschrift: Unvergessen.

 

Seit einiger Zeit allerdings gibt es den Trend, dass Trauernde ihre Verstorbenen mit einer sehr persönlichen Grabgestaltung ehren. Eindrucksvoll gestaltet ist ein Gräberfeld auf dem Friedhof der Berliner Mariengemeinde zwischen Prenzlauer Allee und Greifswalder Straße. Große Kunst und  großen Kitsch entdeckt man dort; und über die Grenze zwischen beidem kann man streiten. Unstrittig allerdings ist, dass  aus vielen dieser Grabsteine eine innige Beschäftigung mit dem Leben und der Persönlichkeit der Verstorbenen spricht. Sie werden gesehen und sie bleiben gegenwärtig.

 

25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel