Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Ali Kazal
Füttern der Hoffnung
von Evamaria Bohle
10.06.2024 04:20
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Die Hoffnung ist ein Kuckuckskind. Wird uns von G’tt ins Nest gelegt. In unsere zerbrechlichen Herzen. Und wenn sie schlüpft, ein Küken wird, die Hoffnung, noch nackt und bloß, ist sie schon stark. Macht sich breit. Schubst die anderen Nestlinge, die viel zu gut genährten Ängste und Sorgen, aus dem Nest. Sperrt dann den Schnabel auf und verlangt nach Futter.

Wir sollen es füttern, das Hoffnungsvögelchen. Das ist G’ttes Plan. Jeden Tag, ein Leben lang. Damit es nicht stirbt, das blinde Ding. Nur, was frisst es eigentlich? Liebe in kleinen Dosen, schlägt jemand vor, den ich nicht sehen kann. Ein Löffelchen Schönheit jeden Tag. Und Dankbarkeit - sehr fein gehackt. Ein bisschen Mut vielleicht? Ein Traum von Frieden? Die Liste wird länger.

Und so mache ich mich ans Werk und füttere sie, die Hoffnung. Denn ich will, dass sie lebt, dass sie groß und stark wird in meinem zerbrechlichen Herzen. Dass sie fliegen kann. Meine Hoffnung ist ein Kuckuckskind. Sie setzt auf das Gute und Schöne. Aufs Trotzalledem.

Bei Vaclav Havel finde ich Worte für sie: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“ Nochmal: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht.“

Natürlich formiert sich sofort der Chor der Kritiker: Fakten, Fakten, Fakten ist sein Schlachtruf. Und dann lächeln sie schmal und ein wenig mitleidig. Hoffnung. Hm. Sinn? - Wolkenkuckucksheimerei, meint einer von ihnen und wetzt die Gegenargumente. Ich kenne sie: Die Folgen des Klimawandels, die Kriege in der Ukraine, in Gaza, im Sudan, der Hunger, die Demokratiefeinde in Europa, die Ertrinkenden im Mittelmeer. Sinn? Echt jetzt? Wo soll da Sinn sein? Oder Hoffnung?

Ich weiß es nicht.

Aber ich will mir den „Luxus der Hoffnungslosigkeit“ nicht leisten. So hat es die Theologin Dorothee Sölle einmal formuliert. Ich will den Kuckuck hören. Von ferne, in irgendeinem Wald jenseits der Stadt, wird er rufen mitten im Schrecken, das Ende des Schreckens verkünden.

Und über den Rand meines Herzens linst die Hoffnung, mein Kuckuckskind, und verlangt nach Futter. G’tt hat sie uns untergeschoben, zwischen die Sorgen und Ängste. Jeden Tag aufs Neue schlüpft diese Hoffnung, die ich nicht machen kann. Nackt und bloß. Flugunfähig. Mit fest geschlossenen Augen. Nur das Schnäbelchen öffnet sich. Sie will gefüttert werden. Also füttere ich sie.

Es gilt das gesprochene Wort.