Wabi-Sabi-Gabi

Wort zum Tage
Wabi-Sabi-Gabi
25.11.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel

Der Ausruf „Das ist ein echter Gabi“ bedeutete, dass die Tür ein wenig klemmte, die Figur wackelte, die Küche nach dem Kochen wie ein Schlachtfeld aussah. Der große Wurf war ihr wichtig, das Ergebnis als Ganzes musste stimmen. Am kleinen Makel stören sich Kleingeister – sie sah darüber hinweg. Der rechte Winkel lag ihr nicht und der millimetergenaue Anschluss gelang ihr selten.

 

Dass dahinter mehr stecken könnte, als bloßes Unvermögen läßt ein Blick in den Fernen Osten vermuten. Wabi-Sabi, das ist ein ästhetisches Konzept aus Japan, nach dem Vollkommenheit erst in der Brechung zur Geltung kommt. Der kleine Fehler macht die Teeschale vollkommen, nicht ihre makellose Rundung.

 

Gabi suchte sich das Umfeld, wo ihre Kanten und ihre Rundungen akzeptiert wurden, wo niemand an ihr herumfeilen wollte. Über die Hausbesetzerbewegung, zu der sie schon in Bielefeld Kontakt hatte, fand sie in Berlin ihr Zuhause in der Kreuzberger Regenbogenfabrik. Der politische Anspruch sollte sich verbinden mit dem guten Leben, die Solidarität mit den Schwachen sollte sich paaren mit der Toleranz gegenüber jeglichen Schwächen, den eigenen und denen der Anderen.

 

Gabi konnte nerven, brachte Leute zur Verzweiflung; sie nannte ihre Art „spontan“, andere fanden sie chaotisch. Sie war so schnell und assoziativ, dass es nicht ganz leicht war, ihr zu folgen. Manchmal schien es, als könne sie selbst mit dem eigenen Tempo nicht Schritt halten.

 

Fassungslos war sie, als man vor zwei Jahren Lungenkrebs bei ihr diagnostizierte. Sie wollte leben und wehrte sich gegen den Tod. Und die Chemotherapie wirkte. Im April verkündete sie: „Ich glaube, ich hab’s geschafft.“ Dann aber kam die Krankheit zurück, und wieder reagierte sie fassungslos und hielt dagegen. Diesmal siegte der Krebs.

 

Als Bibelwort für ihre Bestattung habe ich Verse aus dem Prediger Salomo ausgewählt: (11.4) Wer auf den Wind achtet, der sät nicht, und wer auf die Wolken sieht, der erntet nicht.“ (8,14+15) „Es ist eitel, was auf Erden geschieht: Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein.“

 

Gabi wollte nicht perfekt sein, sie wollte leben. Und sie hat es gelebt über beinahe sechs Jahrzehnte mit viel Kraft, mit Freude, in vollen Zügen. Sie hätte gern mehr Zeit gehabt und hat gehadert mit ihrer Krankheit und dem frühen Tod. Aber die Zeit, die sie hatte, war wirklich gelebte Zeit.

 

Und ohne besondere Absicht hat sie den Worten des Predigers Salomo alle Ehre gemacht: Sie hat gegessen, sie hat getrunken und sie war fröhlich in all ihrem Tun.

 

25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel