Morgenandacht
John Cafazza / Unsplash
Kirchen als Zuhause-Orte
13.10.2021 06:35

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Meist habe ich mich gern auf den Weg gemacht. In die Backsteinkirche meiner Kindheit. Die Glocken um zehn vor zehn konnten wir bis in unsere Küche hinein hören. Und dann wusste ich: Schnell Schuhe anziehen und eher im Dauerlauf als im Schritt Richtung Kirche. Zum Glück war ja geklärt, wo wir sitzen: In der vorletzten Reihe auf der rechten Seite, meist am Gang. Dann konnte ich leichter nach dem Halleluja raushuschen in den Kindergottesdienst. Manchmal habe ich aber auch den ganzen Gottesdienst mitgefeiert. Dann konnte ich in Ruhe das Kreuz mit dem toten Jesus und seiner Dornenkrone angucken – vorn, über dem Altar oder rechts von mir die Tafeln mit den Namen der im Krieg Verstorbenen, die hellgrauen Bänke zählen oder erspähen, wer auf der Empore in der ersten Reihe sitzt.

 

Diese Backsteinkirche in Hamburg Groß-Flottbek hatte über dem Eingang den Satz „Eine feste Burg ist unser Gott“ und sie gehörte zu meinem Leben dazu wie die Schule oder der Kaufmannsladen mit den Naschsachen. Kein heimeliger Ort wirklich, aber vertraut und auch ein Stück Zuhause. Meist traf man ja dort auch dieselben Menschen und war verbunden mit ihnen durch die vertrauten Lieder, die Liturgie, die Suche nach Gott – und eben durch den gemeinsamen Ort.

 

Seitdem ist mir keine Kirche so vertraut geworden wie diese. Aber seitdem weiß ich um den Zauber von Kirchen. Und danach habe ich Johann Hinrich Claussen gefragt, den Kulturbeauftragten der Evangelischen Kirche in Deutschland: Was macht Kirchen zu besonderen Orten? Wie können sie zu Heimat-Orten werden, auch, wenn man nicht mit einer bestimmten Kirche über Jahre hinweg verbunden ist? Johann Hinrich Claussen hat  meine Kollegin Nadia Kamoun und mich für ein Podcast-Gespräch in die St. Nikolaikirche nach Hamburg Harvestehude gebeten. Als wir die Technik aufbauen, knattern die Töne von einem Mofa in der Ferne. Ein Hund bellt, ein paar Kinderstimmen mischen sich dazwischen. Aber alles ein bisschen wie in Watte. Hier in der Kirche ist es ruhiger und das Licht weicher. Bunt. Wegen der Glasfenster. Wir sitzen im Vorraum der Kirche am Klosterstern mitten in Hamburg – genauer gesagt, sitzen wir im Baptisterium. Hier kann auch getauft werden. Vor dem riesigen Glasfenster steht ein Taufbecken. Die Türen von St. Nikolai stehen immer offen und Menschen können ein paar Minuten hierher fliehen: Ein paar Minuten keine einparkenden Autos, angespannte Radfahrer oder rote Ampeln. Er komme hier öfter mal vorbei, auch nach dem Einkaufen oder einfach so, sagt Johann Hinrich Claussen. Er kann viel über die Glasfenster der Künstlerin Elisabeth Coester erzählen. Dass sie selbst auf ihnen zu entdecken ist, wie filigran ihre Kunst war und wie großartig sie mit dem Architekten Otto Bartning zusammengearbeitet hat.

 

Aber wir reden auch über diese andere Atmosphäre, in die wir in einer Kirche eintauchen können. Offene Kirchen sind immer eine Chance, für ein paar Momente herauszutreten aus dem, was mich gerade sonst bestimmt. Manche Menschen haben in der Pandemie regelmäßig eine Kerze in ihrer Kirche um die Ecke angezündet oder einen Moment lang gesessen. Sogar kleine Andachten lagen aus. Aber eigentlich waren viele nur froh, einen Ort für ihre Sorgen zu haben und zu verweilen. Und sind dann ein bisschen gestärkt zurück in den Corona-Alltag gegangen. „Der Blick in einer Kirche geht immer nach vorne und zurück“, sagt Johann Hinrich Claussen in unserem Gespräch. Kirchen sind Erinnerungsorte an Geschichte und an die Geschichten, die hier passiert sind. Das hat etwas Gründendes, Orientierendes, Festigendes, sagt der Kulturbeauftragte.  Der Blick geht aber immer auch nach vorne: Man übertritt eine Schwelle an einen anderen Ort, man hält Ausschau nach dem, was nicht dinglich fest zu machen ist und was einen doch erfüllen kann, also Hoffnung und Glauben.

 

Als wir in der Nikolaikirche sitzen, leuchtet mir das unmittelbar ein. In jeder Kirche lässt sich anknüpfen an das, was war und an die Hoffnung auf das, was sein wird. Das liegt quasi in der Luft. Ich glaube, man geht immer anders aus einer Kirche heraus als man herein gegangen ist.

Es gilt das gesprochene Wort.