Wort zum Tage
Kleines Licht
22.03.2021 05:20
Sendung zum Nachlesen

Nur fünfzehn Zentimeter. Mehr nicht. Man könnte auch sagen: 35 Minuten. Solange brennt es mit leiser Flamme und duftet zart nach Bienenwachs. Dann erlischt das Morgengebet. Ein kleines Licht in meinem Leben.
Es gibt Zeiten, da ist es schon morgens schier unmöglich, zu der Ruhe zu kommen, die das Herz wirklich öffnet für die Gegenwart Gottes. Der lebendige Gott ist da, verborgen gegen-wärtig, hier in meiner Küche, aber ich bin schon weg. Der Alltag hat nach dem Geist gegrif-fen, kaum, dass ich die Augen öffne, und katapultiert mich aus der Versunkenheit der Nacht. Gedanken fluten das Bewusstsein, die lieben Sorgen sind vollzählig versammelt und während die Pläne für den Tag sich im Kopf schon warmlaufen, setzt der Körper den ersten Kaffee auf. Derweil vergisst er keinen Moment zu atmen. Es hält mich am Leben. Verborgen gegenwärtig. Ich brauche nichts dafür zu tun. 
Seit einigen Wochen zünde ich jeden Morgen eine Kerze an. Ein kleines goldenes Licht strahlt in meinen Leben. Ganz still brennt es. Ich brauche nichts dafür zu tun.
An unachtsamen Tagen, also oft, darf das Smartphone schon früh Bilder und Wörter in mich hineinwischen. Im Hintergrund wäscht der Lieblingssender die schlechten Nachrichten des Ta-ges durch.  Das Gemüt verdaut erste Krisen, und Gott ist da. Ich schaue in die leise Flamme. Wie ruhig sie brennt.
Das Bild vom Licht hat einen weiten biblischen Resonanzraum: „‚Es werde Licht!‘ Und es ward Licht.“ ist nur der Anfang. Dieses besondere Licht, das aus den alten Worten funkelt, hat kei-ne Physik.  Die Texte binden es an das „Sprechen“ Gottes. Sein Wort ist Licht. Im Johannes-evangelium wird Christus als „Licht der Welt“ beschrieben und als „Wort Gottes“, das am An-fang war. Und ein anderes Evangelium erkennt in denen, die mit Christus unterwegs sind „Lichter der Welt.“ Kleine Lichter mitunter. Aber wer schon in Finsternis gefangen war, weiß: Es ist ein riesiger Unterschied, wenn irgendwo ein Licht aufscheint. Sei es noch so winzig. 
Jeden Morgen nehme ich eine goldgelbe Kerze aus der Pappschachtel, in der sie geliefert wur-den. Ein Keramikschälchen, gefüllt mit Ostseesand, wird zum Kerzenständer. Ein Schnecken-haus, ein Kreuz, eine Muschel, ein samtiger Kiesel. 
Mein Morgengebet brennt mit leiser Flamme. Zart duftet es nach Bienenwachs. Ein kleines Licht in meinem Leben. Dann erlischt es. Fein kräuselt sich der Rauch und verweht.  Aber Gott ist da. Licht der Welt. Ich brauche nichts dafür zu tun.
 

 

Es gilt das gesprochene Wort.