Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Roxanne Desgagnés
Shabbat Shalom
mit Nora Tschepe-Wiesinger
29.07.2022 06:20
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Es ist laut auf dem Shuk Mahane Yehuda, dem Markt im Zentrum Jerusalems. Jüdisch-orthodoxe Frauen in langen Röcken und Männer mit Hut und Schläfenlocken drängen sich neben amerikanischen Touristen und israelischen Soldaten. Markthändler preisen ihre Ware an: Aprikosen, Tomaten, Kirschen. Der israelische Sommer zeigt sich auch in der Obst- und Gemüseauswahl auf dem Shuk. Vor den Ständen, an denen Brot verkauft wird, bilden sich lange Schlangen. "Nur ein Challa-Brot pro Person", schreit die junge Marktverkäuferin. Wer an der Reihe ist, bekommt ein Brot, das aussieht wie ein österlicher Hefezopf.

Es ist Freitagmittag, in wenigen Stunden beginnt der Shabbat, der siebte Tag der Woche im Judentum. Wenn die Sonne untergeht, ertönt eine Sirene im Zentrum Jerusalems. Dann wissen Alle: Jetzt ist er da, der Shabbat. Der Shuk ist dann plötzlich wie ausgestorben; Geschäfte, Restaurants und Cafés sind geschlossen, Straßenbahn und Busse fahren nicht mehr. Der Shabbat ist ein heiliger Tag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Am Freitagabend, "wenn man einen grauen Wollfaden nicht mehr von einem blauen unterscheiden kann", heißt es, treffen sich Jüdinnen und Juden zum gemeinsamen Essen, Beten und Singen in ihren Wohnungen. Nicht überall gibt es Challa-Brot, das an das Manna erinnert, mit dem Gott die Israeliten während ihrer 40-jährigen Wüstenwanderung versorgt haben soll. Nicht alle beten oder sprechen den Kiddusch, den Segensspruch über einem Becher Wein. Aber niemand ist am Freitagabend allein.

In meinen vergangenen neun Monaten in Jerusalem wurde ich zu zahlreichen Shabbat-Essen eingeladen. Mein israelischer Mitbewohner macht am Shabbat sein Handy aus und lässt das Licht im Badezimmer an, damit er den Lichtschalter nicht betätigen muss. Für ihn ist es eine religiöse Pflicht, den Shabbat einzuhalten. Dazu gehört, dass er keine elektronischen Geräte bedient oder benutzt. Am Freitagabend liest er mit seinen Freunden aus der Thora. Wenn meine säkularen jüdischen Freunde sich hingegen zum Essen treffen, läuft Musik, es wird geraucht und Wein getrunken. Für mich war jedes Shabbatessen besonders. Immer ein wenig festlich und ein bisschen wie Weihnachten. Der Shabbat hat mich in Jerusalem jede Woche dazu gebracht, ruhig zu werden, innezuhalten und zu reflektieren, was in den hinter mir liegenden sieben Tagen passiert ist. Und dann gemeinsam mit Freundinnen und Freunden anzustoßen, zu essen und zu feiern. L’Chaim – Auf das Leben! Zurück in Berlin werde ich am Freitag oft ein wenig wehmütig. Dann zünde ich eine Kerze an und schreibe meinen israelischen Freunden bei WhatsApp: "Shabbat shalom" – habt einen friedvollen Shabbat.

Es gilt das gesprochene Wort.