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Die Sendung zum Nachlesen:
„87 Jahre gut gelebt – jetzt freu ich mich auf was Neues!“
Der Vater einer sehr guten Freundin hat das auf dem Sterbebett gesagt. Sie hatte ihn gefragt, ob er Angst hat. Nein, ich freu mich auf was Neues.
Das bewegt mich sehr. Mit so einer Zuversicht sterben können. Ich weiß, dass er ein gläubiger Mensch war. Das bin ich auch. Aber im Moment ginge mir so ein Satz nicht so leicht von den Lippen, im Moment überwiegt die Unsicherheit. Vielleicht ändert sich das mit dem Alter, mit dem Älterwerden. Mit den Erfahrungen, mit der Vertiefung.
Man müsste lernen, abschiedlich zu leben. Die Psychotherapeutin Verena Kast hat diesen Begriff geprägt. Abschiedlich leben. Sie sagt: Der Tod ragt ja andauernd in unser Leben, immer wieder müssen wir Vertrautes verlassen, da wäre es gut zu lernen, loszulassen, zu verzichten, sich voneinander zu trennen. Wir verlieren dabei nicht nur, so Verena Kast, wir gewinnen auch. Die vielen Veränderungen in meinem Leben, auch die schmerzhaften, geben mir die Chance, mein Wesen zu entfalten.
Ich finde den Gedanken wunderbar – und wahnsinnig schwierig. Wer lässt schon gerne los? Wer gesteht sich schon gerne ein, dass nichts für die Ewigkeit ist? Nicht das Haus, nicht die Partnerschaft, nicht die eigenen Kräfte.
Unser Leben ist voller Abschiede. Bei der Geburt geht’s schon los: Abschied von der warmen Höhle, weg vom nahen Herz der Mutter, raus in die Welt. Fachleute sprechen sogar vom „Trauma der Geburt“: die Wehen, der enge Geburtskanal, der Druck, die Atemnot. Eine erste, von starker Angst begleitete Traumatisierung, die möglicherweise zum Urbild aller Abschiede wird.
Und es geht weiter so: Abschied von der Mutterbrust, Abschied vom Kinderzimmer, Abschied von der Kindheit. Mit 16 dann erstmals allein auf die Party und da verliebt man sich dann, es kribbelt und zieht in der Magengegend, der erste Kuss im dunklen Kino. Wir bleiben zusammen – forever! Bis sie sich dann in eine andere verliebt und von einem Tag auf den andern weg ist. Und tschüß, nie mehr gesehen, Abschied forever.
Abschied vom Teddybären. Abschied von Herzenswünschen.
Abschied vom Partner. Abschied von Lebensentwürfen. Abschied von den alten Eltern. Abschied davon, Dinge nochmal klären zu können.
Ein Lebensthema. Der Tod ist da nur der letzte große Meister in einer langen Reihe von Abschieden.
Ich bin noch keine 87, aber ein bisschen habe ich schon gelernt, dass leben heißt Auf-dem-Weg-sein. Häuser bauen, sich niederlassen. Zelte wieder abbrechen. Trennung. Tränen. Schmerz. Von der Geburt bis zum Tod, all die kleinen und großen Abschiede. Lebenswege sind immer auch Trauerwege.
Und Lebenswege sind immer auch Freudenwege. Neuanfang. Neugierde. Neue Facetten meiner Selbst. Ich nehme Abschied von einem Lebensabschnitt, von zehn Jahren in derselben Wohnung in derselben Stadt, ich nehme Abschied von der Vorstellung, WIE ich zu sein habe und begrüße die Veränderung. Ich nehme Abschied von einem Entwurf für mein Leben und ein anderer sagt: Hallo, hier bin ich, wie wär’s mit uns?!
Der Gott der Bibel ist kein Gott mit festem Wohnsitz. Gott ist nicht im Tempel zu finden, sondern im Zelt, in der Wolke, im Windhauch. Gott geht mit mir durchs Leben, bricht mit mir die Zelte ab und baut sie andernorts wieder auf. Gott ist ein Gott meiner Lebensgeschichte. Gott lebt und ereignet sich in den Beziehungen, die ich lebe. Die tränenreichen und die freudvollen.
Gott will eine Verbindung mit mir eingehen, die besteht und hält und auf die ich mich verlassen kann. Du bist mein geliebtes Kind! Wo du hingehst, wo es dich hintreibt: ich bleibe dir erhalten. Auch im Sterben.
Wenn ich das glaube, dann könnte es mir gelingen, abschiedlich zu leben. Dann können der Abschied und die Trauer und der Schmerz zu meinem Leben dazugehören, weil ich angesichts des Todes bereit bin, mich immer wieder zu verabschieden, mich zu verändern.
Ich freu mich auf was Neues!
Es gilt das gesprochene Wort.