Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ freestocks
Mehr Schein als Sein
von Vikarin Hannah Clemens
20.04.2024 06:20
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen

Manchmal ist mein Leben wie eine Schleife. Wie so eine Parfümerie-Geschenk-Schleife früher. Denn die Schleifen in der Parfümerie wurden besonders sorgfältig gebunden. In großen Bögen wölbte sich breites Geschenkband. Ich lag falsch, wenn ich dachte, einmal kräftig ziehen an dem säuberlich zugeschnittenen Ende und die Schleife würde sie sich lösen. Pustekuchen! Viele nahezu unlösbare Knoten waren innerhalb der Schleife verborgen. Schönheit hat ihren Preis, im Fall der Schleife: Sie sieht kunstvoll aus, kostet aber Mühe beim Aufmachen.

In meinem Leben ist der Preis für den schönen Schein mein Cortisol-Spiegel. In Endlosschleife beginnen und enden meine Tage mit verschiedenen Aufgaben. Jeden Tag putze ich drei Menschen die Zähne – meinen beiden kleinen Kindern und mir selbst -, tippe möglichst weise Worte in meinen Computer, mache To-Do Listen. Natürlich mit einem Lächeln, bester Laune und freundlichen Worten auf den Lippen. Wenn ich dann auf dem Spielplatz eine gute Freundin treffe und sie mich fragt, wie es mir so geht, sage ich: "Geht so, du kennst das ja, viel zu tun und schlecht schlafen tun wir ja sowieso alle." Schöner Schein, doch viel Stress. Gute Laune nach außen, viele Knoten innen drin. Wenn das so weitergeht, lassen die sich immer schwerer lösen. Als lösungsorientierter Millennial mache ich mich auf ins Internet und suche nach Methoden zum Stressabbau. Ich stoße auf die sogenannte Karriere-Bibel - klingt doch vertrauenswürdig. Ich lese: "Dankbarkeit lernen: 6 gute Gründe und 5 geniale Tipps". Weiterlesen muss ich gar nicht. Stattdessen fällt mir ein Kanon ein, den wir immer als Tischgebet gesungen haben: "Danket, danket dem HERRN, denn er ist sehr freundlich, seine Güt‘ und Wahrheit währet ewiglich." (nach 1.Chr 16,34)

Also setze ich mir ein Ziel: am Ende eines Tages möglichst viele Dinge aufschreiben, für die ich dankbar bin. Je mehr, desto besser. Ich gehe anders durch den Tag und sammle beständig Dinge für die Liste. Ich habe nach dem Weckerklingeln kurz die Augen geschlossen und trotzdem nicht verschlafen. Danke! Der Toast war genau richtig, nicht zu hell, nicht zu dunkel. Danke! Auf dem Weg zur Kita hat mich ein Auto vorgelassen, obwohl ich hätte warten müssen. Danke! Ich bin von dem Magen-Darm-Virus meiner Tochter verschont geblieben. Danke!

Jeden Abend wurde die Liste länger und ich zur Profi-Dankbarkeits-Momente-Sammlerin. Als Christin sage ich meinen Dank nicht nur so in den Raum. Ich richte ihn an Gott. Aus dem Schein wird ein Sein, die Knoten lösen sich. Auf der Suche nach Dankbarkeitsmomenten merke ich: Eigentlich passt eine schön gebundene Schleife ziemlich perfekt zu diesem wunderbaren Geschenk namens Leben.

Es gilt das gesprochene Wort.