Die Jüngeren ehren
von Pastorin Cornelia Coenen-Marx
12.09.2024 06:35

Erst hat unsere Autorin gekränkt, was eine Studie an Altersbildern in Deutschland zutage brachte. Dann wurde ihr klar: Da steckt mehr dahinter. Erst hat unsere Autorin gekränkt, was eine Studie an Altersbildern in Deutschland zutage brachte. Dann wurde ihr klar: Da steckt mehr dahinter.

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Vor zwei Jahren hat die Gleichstellungsbeauftragte des Bundes eine Studie zur Diskriminierung älterer Menschen herausgegeben. "Ageismus - Altersbilder und Altersdiskriminierung in Deutschland" (1). Naja, was kann das so sein?, dachte ich. So schlecht wie Menschen mit Behinderung oder People of Color geht es uns nun wirklich nicht. Aber was ich dann las, hat mich doch erschreckt.

Rund ein Drittel der Befragten stimmt der Aussage zu, dass alte Menschen "Platz machen" sollten für die jüngere Generation. Es wird erwartet, dass sie wichtige berufliche und gesellschaftliche Rollen aufgeben. 51 Prozent der Befragten sind für eine Regelung, wonach "Menschen nur bis zu einem bestimmten Alter, wie etwa 70 Jahre, politische Ämter ausüben dürfen".

 

Wir Älteren eine verschlafene Generation?

Ich muss zugeben: Je länger ich das sacken ließ, desto mehr hat es mich gekränkt. Jüngeren etwas zutrauen, von ihnen lernen, gemeinsam unterwegs sein und ihnen dann auch Platz machen - ja, das klingt gut. Aber in der Umfrage lese ich noch etwas anderes: 53 Prozent sagen, ältere Menschen trügen nicht entscheidend zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Vor meinem inneren Auge entstand das Bild, wir Älteren seien eine verschlafene Generation, die mit den Rezepten von gestern die Zukunft gestalten will.

Zuerst habe ich gedacht, die schlechte Bewertung der Älteren hätte mit der Pandemie zu tun. So viele meinen, vor allem Kinder und Jugendliche hätten wegen der Sorge um die Älteren zurückstecken mussten. Aber während der Lockdowns kamen Alte mit dem, was sie beitragen, auch kaum noch vor. Sie mussten sich zurückziehen von ihrem Engagement als Grüne Damen, im Besuchsdienst oder als Leihomas, als Hausaufgabenbetreuer, Lesehelferin und an den Tafeln. Das ist nicht so vielen aufgefallen. Es schien ja auch ohne sie zu gehen.

 

"Die Altenrepublik"

Dann ist mir klar geworden, dass noch mehr dahintersteckt. Der Soziologe und Podcaster Stefan Schulz hat ein Buch mit dem provokanten Titel "Die Altenrepublik" herausgegeben. Darin setzt er sich mit dem demographischen Wandel auseinander und zeigt anhand der Zahlen, dass Ältere längst die Politik im Land bestimmen – und dass die wenigen Jüngeren dauernd zurückstecken müssen, nicht nur während der Pandemie.

Das leuchtet mir ein. Ich denke an die Demonstrationen von Fridays for Future oder auch an die vielen, die gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind. Meist waren es junge Leute – aber "Omas gegen Rechts" waren auch dabei. Es gibt Probleme, die den Jüngeren mehr auf den Nägeln brennen, die sie früher sehen. In dem rasanten Wandel, in dem wir leben, helfen die Überzeugungen und Rezepte der Älteren oft nicht mehr weiter. Wie gestaltet man ein Land um, wie eine Wirtschaft, wenn die Klimakatastrophe uns nur noch ein kleines Zeitfenster lässt - zehn Jahre vielleicht?

 

Die Zehn Gebote erweitern

"Du sollst Vater und Mutter ehren", heißt es in den Zehn Geboten, "damit du lange lebst in dem Land, das dir Gott gegeben hat." Das klingt nach erhobenem Zeigefinger, ist aber sicher auch ganz praktisch gemeint. Wer gut und lange leben will, muss viel wissen über das Miteinander, über Gesundheit und Natur. Muss die Traditionen kennen - und auch die Fehler, die andere vorher schon gemacht haben. Das alles lernen wir von unseren Eltern. Was ist aber, wenn wir, die Älteren, selbst dazu beigetragen haben, dass nicht mehr sicher ist, wie lange wir gut leben können – in unserem Land und auf Gottes Erde? Was ist, wenn sich vieles in unserem Alltag ändern muss – von der Art, wie wir Straßen und Häuser bauen, bis zu Ernährung, Kleidung und Urlaubsfahrten? Dann müssen wir Älteren von den Jungen lernen.

Vielleicht ist jetzt die Zeit, das Gebot zu erweitern und auch die Jungen zu ehren - die mit dem klaren Blick. Du sollst Kinder und Jugendliche ehren, damit du lange lebst in dem Land, das Gott dir gibt. Das bedeutet für Ältere wie mich: Lernen und verlernen und noch einmal neu probieren. Wie viel Spaß das machen kann, das wissen schon Kinder.

Es gilt das gesprochene Wort.

Literaturangaben:

  1. https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/forschungsprojekte/DE/Studie_Ageismus_Altersdiskr_Dtl.html

 

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