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Die Sendung zum Nachlesen:
Es war dieser eine Moment in der Kirche, als sie kurz gezögert hatte. Während des Gebets, des Vaterunsers. Alle haben gebetet, aber irgendwie langsamer als sonst, jede Zeile hatte plötzlich eine Bedeutung, und alle haben es gemerkt.
Und erlöse uns von dem Bösen.
Sie hat es ausgesprochen und dann innegehalten, die anderen haben weitergebetet. Was für ein Satz, hatte sie gedacht. Dass das gehen kann – von dem Bösen erlöst zu werden. Sie hat tief durchgeatmet.
Von allen Sätzen dieses Tages hat sie nur den einen vom Vaterunser mit in den Abend genommen.
Das Böse – das ist diese zerstörerische Macht, die ihr regelmäßig den Atem raubt. Ihr, der kleinen, tapferen, von vielen bewunderten Frau, die sich so oft aufgelehnt hat gegen das Unrecht, gegen das Böse. Obwohl sie wusste, dass eine wie sie in der DDR schlechte Karten haben würde. Sie hatte es erlebt: bei einer Aktion verhaftet, verurteilt und in den Frauenknast weggesperrt. Tagelange Verhöre, die Misshandlungen, die Demütigungen.
Sie deutet das jetzt nur an. Keine Details. Braucht es auch nicht. Zu sehen, wie es diese zierliche Jeanne d‘Arc gebeugt hat, ist Sprache genug.
Und erlöse uns von dem Bösen.
Abends im Bett betet sie diese Zeile immer wieder.
Sie wurde freigekauft in den Westen, wo sie nie hinwollte. Sie hat sich durchgejobbt, immer mal da, mal dort. Die Freiheit hat ihr nicht viel genützt. Gebeugt wie sie war – ihre Kraft war zu gering, noch einmal neu zu starten. Emotional, finanziell. Sie war froh, irgendwie durchzukommen, auf einem Gnadenhof für Tiere. Ihr Herz: riesengroß für kranke Katzen, Hunde mit drei Beinen, geschlagene Esel, zerzauste Pferde. Und immer für Menschen ohne Rechte. Für Kinder, vor allem die, die sonst keiner will, weil sie zu wild sind. Sie kam mit ihnen zurecht.
Das Böse – es drückt immer die Falschen.
In ihr arbeitet es. Wie ist zu verstehen, dass man vom Bösen erlöst werden kann?! Für sie war das lange Zeit allein der Tod, dem sie das zugetraut hätte.
Aber dann fiel die Mauer. Und das System DDR implodierte binnen weniger Monate. Unverrückbare Wahrheiten fielen in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. Mächtige Männer wurden hilfsbedürftig. Das Ehepaar Honecker wurde von einem Pfarrehepaar aufgenommen, damit es nicht der Rache der Straße überlassen wird.
So kann es gehen. Das System, das ihr die Jugend und die Kraft genommen hatte, wurde hinweggefegt. Der Weg war frei, wieder nach Hause zu kommen.
Erlöse uns von dem Bösen – ja, sie hatte das einmal erlebt. Es hatte ihr gute Jahre geschenkt. Bei Gott keine unbeschwerten, aber doch gute Jahre in einer bescheidenen Form von Freiheit.
Und jetzt ziehen sie die Bilder im Fernsehen wieder herab in den dunklen Strudel der Ohnmacht. Dieser Krieg, der nimmt ihr den Atem. Es ist, als säße sie wieder ihrem Vernehmer gegenüber in diesem elend muffigen Raum mit den vergilbten Gardinen, er raucht unaufhörlich und schreit sie an, Stunde um Stunde. Und sie kann nur noch leise sagen, sie wäre bereit, sich tagelang mit ihm zu unterhalten, aber er solle doch bitte nicht mehr schreien.
Und erlöse uns von dem Bösen.
Sie möchte es glauben, dass Gott das wieder kann. Die Mauern bröckeln lassen, das System von innen erodieren lassen, bis es in sich zusammenfällt. Bis die Generäle nicht mehr wissen, wer ihnen jetzt Befehle geben kann und sie nach Hause gehen. Bis die Soldaten umkehren, weil sie ahnen, wo sie hingehören. Dass endlich Ruhe einkehrt. Dass dann die Trümmer aufgeräumt und die Minen entschärft werden, und die Geflüchteten Zukunft sehen in ihrer alten Heimat und zurückkommen und aufbauen.
Erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein, Gott, ist das Reich und die Kraft, so betet sie, und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.