Albernes Beten

Wort zum Tage
Albernes Beten
03.01.2020 - 06:20
05.09.2019
Evamaria Bohle
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Beten kann komisch sein. Das ist mein Ernst. Harry Rowohlt zum Beispiel, der geniale Übersetzer, Schriftsteller und Rezitator mit dem großen Bart, der leider schon im Himmel zechen darf, hat es auf den Punkt gebracht. In nur neun Worten das ganze Evangelium, naja fast: „Lieber Gott, du bist der Boss. Amen. Dein Rhinozeros.“ Es ist eines meiner Lieblingsgebete. Kurz, bündig, frech und alles gesagt. Wenn ich mich so verorte, inklusive Heiterkeit, ist die Welt ein einfacherer Ort für ein Nashorn wie mich.

Das Gebet hat inzwischen sogar ein paar Stiefgeschwister bekommen. Denn albernes Reimen ist eine der effektivsten Methoden gegen aktiven Griesgram: „Warum bin ich kein Delphin? Tu was Schöpfer. Pinguin.“ Oder: „Wo findet man denn hier noch Reisig? Im Nestbaustress grüßt Mutter Zeisig.“ Wenn man einmal anfängt, ist es schwer wieder aufzuhören. Noch lustiger wird es, wenn man eine Sparringspartnerin hat, mit der man um die Wette reimen kann. Kostbare Momente, in denen ich Kommunikation in Echtzeit sehr schätze. Das heißt, ich starre in der S-Bahn auf mein Smartphone und kichere albern vor mich hin.

Ist das Beten? Klar, ist das Beten. Für mich schon. Ich habe eine langjährige wechselvolle On-off-Liebesbeziehung mit dem, der Gott genannt wird. Ich bin vergleichsweise bibelfest und lass mich auch von der unsichtbaren Welt nicht erschrecken, da kann ich mir Albernheit erlauben. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind zu wichtig, um nicht mit ihnen zu lachen. Wir können auch Schweigen. Oder Singen.

Das Vaterunser mag ich auch. Es ist eine Art Grundnahrungsmittel meines Gebetslebens. Über 2000 Jahre beten Menschen, die sich auf Jesus Christus beziehen, diese Worte. Auf der ganzen Welt. Ein mit Erfahrung aufgeladener Text. Ein Destillat des alten Glaubens, unabhängig von Institution und Struktur, von konfessioneller Kleingeisterei. Faszinierend.

Und sogar Seufzen gilt als Gebet. Wortloses Eingeständnis des Zuviel. Oder sprachloses Staunen. Mit Ausrufungszeichen oder den drei Punkten. „Ach.“ Eigentlich mehr ausgeatmet als gesagt. Schweigen ist ein guter Anfang. Dann hat, wer oder was zwischen den Zeilen wohnt, mehr Raum. „Ach“ ist das kürzeste Gebet. Es ist interreligiös, behaupte ich frech. Und es gehört dem Körper. Es atmet mich aus und schafft Platz für neuen Atem, der einfach kommt, der mich nährt. Die Altvorderen redeten davon, dass Gott sich einatmet in den Menschen. Ein schönes Bild. Mein Leben sein Hauch. Ach! Wer mit dem Beten anfangen möchte, darf auch seufzen. Und Staunen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.09.2019
Evamaria Bohle