Lost

Wort zum Tage
Lost
06.11.2020 - 06:20
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„Mit dem „Jugendwort des Jahres“ ist es so eine Sache. Ich habe mir angewöhnt, die Shortlist der „Jugendworte des Jahres“ lieber bei meinen jugendlichen Töchtern kurz abzugleichen. Da scheidet dann schon etwa die Hälfte aus. Wenn die vermeintliche Zielgruppe es kaum kennt und nicht benutzt, kann es mit der Popularität unter Jugendlichen ja nicht weit her sein. Natürlich schützt mich dieses qualifizierte Wissen auch davor, in peinlich unangemessener Weise Jugendsprache zu benutzen, etwa bei meinen Konfirmandinnen und Konfirmanden.

Zur Wahl standen in diesem Jahr so schöne Worte wie „cringe“ und „wyld“. Die haben meinen Töchter-Test zwar bestanden, es dann aber am Ende doch nicht geschafft. „Cringe“ heißt so viel wie „seltsam“, „peinlich“ oder „merkwürdig“, „wyld“ dagegen bedeutet etwas positiver „besonders“ oder „krass“, was ja auch schon wieder ein Jugendwort ist. Gewonnen hat am Ende „lost“ – für Erwachsene übersetzt, bedeutet es so viel wie „unsicher“, „ahnungslos“ oder „unentschlossen“.

Zur Zusammensetzung der Jury, die diese Entscheidung getroffen hat, kann ich nichts sagen. Aber immerhin kamen diesmal die Vorschläge von Jugendlichen selbst. „Lost“, damit werden viele von ihnen in diesem besonderen Jahr etwas anfangen können. Sie sind so sehr von der Pandemie betroffen gewesen. Kein normaler Unterricht über viele Wochen, keine Feiern zum Schulabschluss, die Pläne für ein Auslandsjahr dahin und für viele ein rein digitaler Studienbeginn in diesen Tagen. Und natürlich keine Partys und legalen Möglichkeiten, andere Jugendliche zu treffen. Von der Einsamkeit der alten Menschen ist viel gesprochen worden. Zu Recht. Von der Einsamkeit der Kinder und Jugendlichen und ihren psychischen Folgen viel weniger. Zu Unrecht, finde ich.

„Lost“ – auch wenn dies das Jugendwort des Jahres ist, wünsche ich mir, dass sich Kinder und Jugendliche nicht so fühlen müssen. Die Bibel erzählt als Sehnsuchtsbuch Geschichten von Menschen, die „lost“ sind. Gott ist besonders aufmerksam für sie, ist wie der Hirte, der das Schaf sucht und wie der Vater, der seinen verlorenen Sohn mit offenen Armen empfängt. Gott hängt an ihnen und verliert sie nicht aus dem Blick, auch wenn ihr Verhalten „cringe“ oder „wyld“ ist. Etwas davon möchte ich weitergeben, nicht nur an meine eigenen Kinder. „Lost“ - das Jugendwort des Jahres, meinetwegen. Aber bitte nicht das Jugendgefühl des Jahres 2020.

Es gilt das gesprochene Wort.