Reisebuttermarken

Wort zum Tage

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Reisebuttermarken
Wort zum Tage von Pfarrerin Kathrin Oxen
28.08.2019 - 06:20
08.08.2019
Kathrin Oxen
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Nur 2400g Brot, 500g Fleisch und 270g Fett in der Woche. Was sich vielleicht wie eine Angabe aus einem Ernährungsratgeber anhört, sind die wöchentlichen Rationen für Normalverbraucher im Herbst 1939. Am 28. August 1939, vier Tage vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurden in Deutschland wieder Lebensmittelmarken ausgegeben. Spätestens damit wurden bei den Erwachsenen ungute Erinnerungen an den Weltkrieg wach. Damals hieß der noch nicht der „Erste“.

Die Rationierungen von Lebensmitteln und Benzin waren sozusagen der alltägliche Teil der Kriegsvorbereitungen Adolf Hitlers. Die bunten Papierkarten mit den kleinen Quadraten, die man beim Einkaufen ausschneiden und abgeben musste, lagen auf jedem Küchenschrank. Völlig überraschend kam der Beginn des Krieges am 1. September 1939 deswegen für niemanden.

Lebensmittelmarken - eine Unbequemlichkeit beim Einkaufen. „Denk an die Marken, pass gut darauf auf!“ Für die Kinder dieser Zeit war das mit den Lebensmittelkarten am Anfang bestimmt wie ein Spiel – Kinder lieben ja Marken und Coupons aller Art und auch die kleine Verantwortung, die damit verbunden ist. Dass man etwas eintauschen kann und dafür etwas bekommt.

Doch in dem Krieg, der der Zweite Weltkrieg werden sollte, spielten die Lebensmittelmarken bald noch eine andere Rolle. Ohne Marken war es nicht möglich, Lebensmittel einzukaufen. Auf der Karte standen aber der Name und die Adresse. Untergetauchte Menschen, vor allem Juden, aber auch andere von den Nationalsozialisten Verfolgte, konnten ohne Lebensmittelmarken nicht versorgt werden. Von den immer kleiner werdenden Rationen konnte man nicht noch mehrere Menschen mit ernähren.

Einen Ausweg gab es: Gefälschte Marken. In Berlin druckte seit 1942 der Klavierbauer, Maler und „Kunsttrinker“ Oskar Huth in einem Keller in Wilmersdorf auf seiner Handpresse falsche „Reisebuttermarken“. Sie konnten leicht gegen echte Lebensmittelmarken eingetauscht werden – oder direkt gegen Butter. Auch gefälschte Papiere kamen aus seiner Presse. Mit Dokumenten und Butterpaketen wanderte er kilometerweit zu Fuß durch die zerstörte Stadt. Auf diese Weise hat er etwa sechzig versteckten Menschen das Leben gerettet. Zeit seines Lebens – er starb 1991 – soll er eine Vorliebe für Fußmärsche und zentimeterdick bestrichene Butterbrote behalten haben. Seine Reisebuttermarken waren Widerstand der alltäglichen Art. Es ging um Leben und Tod und blieb trotzdem leicht und spielerisch. Wie bei den Kindern. Jesus sagt: „Solchen Menschen gehört das Reich Gottes.“

Es gilt das gesprochene Wort!

08.08.2019
Kathrin Oxen