Gemeinfrei via Unsplash/ Mateus Campos Felipe
Trinität
Wie erkläre ich nicht nur meinem muslimischen Freund die Trinität
26.05.2024 06:35
Sendung nachlesen:

Ich habe einen Freund, der aus Syrien kommt. Samir. Vor Jahren ist er zusammen mit zwei Kindern vor dem Krieg geflüchtet, hat inzwischen die deutsche Sprache gut gelernt und Arbeit gefunden. Oft sitzen wir zusammen, dann erzählt Samir von seiner Heimat und ich von meiner. Und dabei kommen wir immer wieder auf den Glauben zu sprechen. Kein Wunder, immerhin bin ich evangelischer Pastor und er ist Muslim. Da liegt es nahe, nicht nur über Essen und die Landschaft zu plaudern, sondern auch über die Religion, deren Traditionen den Alltag prägen. Es ist ein gegenseitiges Interesse, das zu diesen Gesprächen führt. Für mich ist es ein gutes Gefühl, einem Menschen zuzuhören, weil ich auf diese Weise eine Vorstellung davon bekomme, warum Menschen in anderen Kulturen so sind, wie sie eben sind.

Aber es geht nicht immer nur darum, den Gesprächspartner und seine Lebenswirklichkeit zu verstehen. Manchmal gilt es auch, die eigene Religion zu begreifen. Das merke ich dann im Gespräch, wenn die Erklärungen über den eigenen Glauben nicht mehr so leicht über die Lippen gehen.

Genau das passierte, als mein syrischer Freund in einem Gespräch plötzlich sein Unverständnis zeigte und erklärte, er könne die christliche Unterteilung des Gottesbildes in Vater, Sohn und Heiligen Geist einfach nicht nachvollziehen. Christen verstehen sich doch genauso wie Juden und Muslime als Monotheisten. Sie glauben alle an den einen und einzigen Gott. Aber dann sprechen die Christen von einem dreiteiligen Gottesbild. Sie glauben neben Gott ebenso an Jesus Christus und den Heiligen Geist.

In der christlichen Theologie wird das als Trinität bezeichnet, beziehungsweise als Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit. Wenn Christen von Gott sprechen, meinen sie damit immer auch Jesus Christus und den Heiligen Geist. Dieses dreifaltige Gottesverständnis markiert den großen Unterschied, und die Vertreter der anderen monotheistischen Religionen, also Juden und Muslime, empfinden Befremden, wenn Christen den einen Gott in drei Personen teilen. Warum ist das überhaupt wichtig? Woher kommt dieses Denkgebäude, und kann man darauf nicht verzichten, um mehr das Gemeinsame zu betonen und nicht immer das Trennende in den Vordergrund zu stellen?

Genau darum ging es in dem Gespräch mit meinem muslimischen Freund. Es braucht eine Erklärung, die nicht nur er nachvollziehen kann; keine historische Auflistung von altkirchlichen Dogmen, sondern etwas, was Menschen heute plausibel ist.

Das Erste, was mein muslimischer Freund über die Trinität wissen möchte, zielt auf die Gestalt Jesu. „Warum“, so fragt er, „kommen Christen auf diese Idee, Gott habe einen Sohn? Wieso gibt es überhaupt drei verschiedene Gestalten für Gott?“ Für ihn wirkt das wie ein Bruch mit dem Bekenntnis zu dem einzigen Gott.

Die Antwort darauf fällt mir nicht leicht. Bei der Dreifaltigkeit handelt es sich ja nicht um eine Aussage, die direkt aus der Bibel entnommen werden kann. Es ist vielmehr eine Theorie, die sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Und dieses Denkgebäude kam zustande, weil es offene Fragen gab. Wer die Trinität verstehen will, muss die Fragen kennen, auf die sie die Antwort sein soll.

Eine dieser offenen Fragen ist das Problem, wie eine Erkenntnis Gottes überhaupt möglich wird. Für Immanuel Kant, den Begründer der Aufklärung, war am Ende seines Gelehrtenlebens eines klar: Der Mensch hat infolge der Grenzen seiner Erkenntnismöglichkeiten keinen direkten Zugang zu transzendenten Dingen. Mit anderen Worten: Über Gott kann keine Aussage gemacht werden, jedenfalls keine wissenschaftlich gesicherte. Alle Versuche, die Existenz Gottes zu beweisen, laufen ins Leere. Und zwar aus einem einfachen Grund, weil jeder Mensch auf die Wahrnehmung seiner Sinne angewiesen ist, wenn es um Erkenntnisse geht. Natürlich kann ich über Gott und über meinen persönlichen Glauben reden, warum er für mich und mein Handeln wichtig ist. Aber das bleiben abstrakte Gedanken, weil ich ihn weder hören, sehen, fühlen noch schmecken kann. Gott bleibt eine persönliche Erfahrung, die mit exakten Methoden nicht nachzuweisen ist.

Nun wäre es falsch, diese Aussage des Philosophen Kant als Argument gegen Gott oder gegen den Glauben zu interpretieren. Das lag ihm fern. Als Basis des moralischen Handelns wollte er unbedingt auf Gott vertrauen. Aber es bleibt das Problem, über Gott eben keine gesicherte Aussage machen zu können.

Mit Jesus verhält es sich da grundsätzlich anders. Er hat eine Biografie, die nachvollzogen werden kann. Er hatte Freunde und Feinde, mit ihm haben Menschen gesprochen, sie haben ihn angefasst, umarmt, gesalbt, geküsst und verraten. Alles das, was das Leben zu einem menschlichen Leben macht. Alles das, was mit Gott als transzendenter Größe eben nicht möglich ist. Nun gilt Jesus für Christen als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Durch ihn wird Gott sinnlich erfahrbar und beschreibbar. Durch Jesus als Sohn Gottes bin ich nicht mehr auf eine abstrakte Größe angewiesen.

Dadurch, dass Gott diese zweite Seite, diese menschliche Dimension hat, wird er für uns greifbar und begreifbar. Jesus Christus, die zweite Person Gott ist also eine Notwendigkeit, um überhaupt über Gott Aussagen machen zu können, die auf vermittelbare Erfahrungen und konkrete Erlebnisse zurückgehen.

Auch die anderen monotheistischen Religionen kennen Gestalten, die an der Seite Gottes wirken: Im Judentum etwa Mose, der aus der Begegnung mit Gott die zehn Gebote mitbrachte. Im Islam ist es Muhammed, er gilt als Prophet und Überbringer des Korans. Gestalten, die vermitteln und den Graben zwischen Gott und den Menschen überbrücken, gibt es also auch im Judentum und im Islam.

Genau das beschäftigt meinen Freund Samir in unserem Gespräch. „Aber warum“, so will er von mir wissen, „ist Jesus bei euch Christen nicht auch ein Prophet, meinetwegen ein Gesandter Gottes? Warum muss er unbedingt der Sohn Gottes sein?“ Die Anfrage ist nicht abwegig. Tatsächlich kennen auch Christen Propheten. Die Evangelisten und Apostel sind ebenfalls so etwas wie Mittler und Überbringer der Botschaft Gottes. Aber bei Jesus geht es doch um etwas ganz anderes. Er ist selbst Gott, beziehungsweise eine Seite oder wie man besser formuliert: eine Person Gottes.

Diese Formulierung führt zu Missverständnissen. Wenn von Personen die Rede ist, denken viel gleich an getrennte Individualitäten. Aber das ist nicht gemeint. Der Ausdruck „Person“ soll zeigen: Hier geht es um die vollständige Gestalt, nicht nur um abstrakte Energie, auch nicht nur um sein Wort. Wenn ich Jesus und den Heiligen Geist jeweils als Person Gottes beschreibe, will ich damit ausdrücken: Gott ist nicht abstrakt, er ist sehr persönlich. Ein Gegenüber, mit dem ich sprechen kann, ein Gott, der fühlt, der Mitleid empfindet und Liebe schenkt. Eigenschaften, die wir im Allgemeinen Menschen zusprechen oder eben Personen. Gott ist Person, weil er nicht unpersönlich sein kann.

So weit stimmt mir mein muslimischer Gesprächspartner zu. Aber dass Gott gleich aus drei Persönlichkeiten besteht, das geht ihm doch zu weit. Für ihn sind die drei Personen mit dem Bekenntnis zu einem einzigen Gott nicht zu vereinbaren. Um das verständlich zu machen, wähle ich ein einfaches Bild:

Ich selbst habe zwei Töchter und einen Sohn. Für die bin ich ganz und gar Vater, und alles, was sie in mir sehen, ist durch diese Haltung geprägt. Aber dann habe ich auch noch einen Vater und eine Mutter, und für die bin ich der Sohn. Etwas anderes können sie in mir nicht sehen.

Für meine Frau wiederum bin ich weder Vater noch Sohn, sondern Partner. Und für meine Kollegen bin ich etwas ganz anderes. Alle sehen in mir eine andere Person, und dabei sind sie doch alle im Recht, keiner hat Vorrang. Tatsächlich bin ich alles zugleich, und doch auch noch viel mehr. So kann man die Trinität verstehen: Gott erschließt sich in den Personen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und doch ist Gott zugleich unendlich viel mehr, aber das kann ich als Mensch eben nicht fassen.

Nicht nur bei meinem muslimischen Gesprächspartner hat die Rede von den drei Personen Gottes zu Missverständnissen geführt. Natürlich stellten sich auch die Theologen der alten Kirche diese Person nicht etwa wie einen Menschen vor, gar als alten Mann. Auch nicht als Frau. Genderfragen haben hier keine Gültigkeit. Wenn ich Gott gleich in dreifacher Weise als Person wahrnehme, ist damit gemeint: Ich kann Gott nur aus meiner Beziehung zu ihm verstehen. Gott ist Person, weil er sich in persönlichen Beziehungen entfaltet.

Darin wendet er sich den Menschen zu, wird erkennbar und begreifbar. Aber deshalb sind die jeweiligen Gottesbilder auch zwangsläufig an die persönlichen Beziehungen zu ihm gebunden. Das ist der Grund für die unterschiedlichen Bilder in unseren Köpfen, weil unsere Beziehungen zu Gott, ja unsere Geschichten so anders sind.

Deutlich wird das an der dritten Person, dem heiligen Geist. Der Heilige Geist ist die Dimension Gottes, die in der Welt wirkt. Der Glaube ist ein andauernder Prozess, der keinen Stillstand kennt. Die Geschichte Gottes mit den Menschen ist weder mit der Schöpfung noch mit der Sendung Jesu zu Ende. Auch die Gottesbilder entwickeln sich weiter. Die Art und Weise, wie die Texte der Bibel interpretiert werden, darf nicht in antiken Vorstellungen steckenbleiben. Deshalb ist der Heilige Geist so wichtig: Er bietet Zukunft und Entwicklung. Er ist die Grundlage aller Utopien. Ja, man kann sagen: Der Heilige Geist ist Hoffnung pur. Eine der stärksten Wirkungen des Heiligen Geistes ist, dass er Trost verbreitet. Woher denn sollten wir sonst unsere Zuversicht nehmen, dass es besser wird mit der Welt?

Und noch einen weiteren Jubelfaktor verbinde ich mit dieser dritten Person Gottes, und zwar die Freiheit. „Wo der Geist ist, da ist Freiheit“, formuliert der Apostel Paulus (2. Korinther 3,17). Aber es gilt auch umgekehrt: Wo kein Geist wirkt, ist es auch mit der Freiheit nicht weit her.

Am Ende dieses Gesprächs mit meinem muslimischen Freund begeistere ich mich immer mehr für das Konzept eines dreifaltigen Gottesbildes. Trinität ist für mich der Glaube, dass sich Gott in dreifacher Weise entfaltet: Als Schöpfer, als Jesus, der sich den Menschen in ihrem Leid zuwendet, und als Heiliger Geist, durch den Gott in uns weiterwirkt. Es ist zugleich die Trinität von Glaube, Hoffnung und Liebe. Auch wenn die Liebe die größte unter ihnen ist, lassen sich doch alle drei Größen nicht trennen.

Mit der Trinität haben die Theologen der alten Kirche versucht, das zusammenzubringen, was häufig auseinanderfällt. Die Trinität ist ein Modellversuch, das andauernde Wirken Gottes in der Welt zu erklären, eine Hoffnung, die ich nicht aufgeben möchte.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

    1. Camille Saint-Saens, La feuille de peuplier, Saint-Saens – Melodies sans paroles
    2. Camille Saint-Saens, La mort d’Ophélie, Saint-Saens – Melodies sans paroles
    3. Camille Saint-Saens, Ad libitum, Saint-Saens – Melodies sans paroles
    4. Camille Saint-Saens, Ad libitum, Pourquoi rester seulette – Melodies sans paroles