Das tat ich wohl in meiner Güte

Wort zum Tage
Das tat ich wohl in meiner Güte
16.07.2018 - 06:20
20.06.2018
Kathrin Oxen
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„Das tat ich wohl in meiner Güte.“ Einen Kuss mitten auf den Mund hat die Lehrerin bekommen, von einem kleinen blonden Jungen mit einer blauen Mütze. Einfach so, auf dem Rückweg von der Tafel, wo Michel aus Lönneberga eine schwierige Rechenaufgabe gelöst hat. Die Lehrerin wird rot, sie ist verwirrt. „Das tat ich wohl in meiner Güte.“ Ein verblüffender Satz. Er kommt selbst dem, der ihn sagt, unglaublich vor. Fügt Michel deswegen ein vorsichtiges „wohl“ ein?

 

Güte verblüfft Menschen. Der Mund bleibt dir offen stehen, wenn sie dich trifft. Beherzt ist sie und ohne falschen Respekt und schert sich nicht darum, wer Lehrerin ist und wer Schüler. Güte ist unkonventionell. Sie fragt nicht um Erlaubnis. Meine Zustimmung braucht sie nicht. Denn die Güte freut sich, den anderen verblüfft zu sehen.

 

Güte ist: Die Lehrerin küssen. Oder: Den vorbereiteten Weihnachtsschmaus an die Armen und Alten aus dem Armenhaus zu verteilen. Als Kind habe ich in den Michel-Büchern am meisten die eine Buchseite lange Liste geliebt, auf der all die Speisen in ihren Schüsseln und auf ihren Platten beschrieben wurden. Und mich von Herzen mit den überraschten und verblüfften Armenhäuslern gefreut.

 

Eigentlich alle Streiche von Michel aus Lönneberga haben ihren Ursprung in seiner Güte. Er will helfen, teilen, anderen eine Freude machen. Leider trifft er dabei immer wieder auf die Wirklichkeit – in Gestalt seines Vaters Anton Svensson. Der hat kein besonders weites Herz. Er kann mit Michels Güte wenig anfangen. Zwar hat er die Macht, Michel im Tischlerschuppen einzusperren – aber er ist auch derjenige, der von Michel immer wieder vorgeführt und der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

 

Die Geschichten aus Lönneberga haben am Ende einen dramatischen Höhepunkt. Michel rettet seinem väterlichen Freund, dem Knecht Alfred, das Leben. Weil niemand anders etwas unternimmt, fährt er ihn nachts im Schneesturm zum Arzt. „In dieser Nacht schaufelte er so viel Schnee, dass er es niemals wieder vergaß.“ Um das zu schaffen, sagt sich Michel: „Man wird stark, wenn man muss“.

 

Güte ist Überraschung, Großzügigkeit und unerwartete Stärke. „Eure Güte lasst kund sein allen Menschen!“ heißt es in der Bibel. Ich würde es so sagen: Anton Svenssons haben wir wahrhaftig genug. Sucht lieber den Michel in euch! Teilt, was ihr habt, seid stark für andere. Und küsst die Lehrerin – zum Beispiel.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.06.2018
Kathrin Oxen