Mein liebstes Buch

Wort zum Tage
Mein liebstes Buch
11.02.2020 - 06:20
03.01.2020
Florian Ihsen
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Mein liebstes Buch ist etwa so groß wie meine Hand. Ziemlich abgewetzter Ledereinband. Die Seiten hatten mal einen Silberschnitt. Die Einlegebänder, gelb, türkis, violett sind vor allem: schmutzig und ausgefranst. Wenn ich drin blättere, finde ich Kaffeeflecken, einmal einen Rotweinfleck und handschriftliche Notizen von mir am Rand. Die Schrift vorne drauf geht langsam ab: Evangelisches Gesangbuch. Für Gottesdienst, Gebet, Glaube, Leben.

25 Jahre ist es jetzt alt. Es hat mich begleitet durch Studium und Beruf, auf Urlaubsreisen und Radtouren. Mein Gesangbuch ist für mich ein Lebensbuch.

Neben Gebeten, Texten und Bildern finde ich vor allem darin, klar, Lieder, alte und neue. Manche sprechen mich an und gehen mir direkt ins Ohr und ins Herz. Manche finde ich fremd und komisch. Manche waren mir früher fremd und fangen heute an, mir etwas zu geben. Alte Lieder singen von Feinden und Teufeln. Das fand ich früher ziemlich altmodisch. Heute weiß ich: Die Seele des Menschen, mein Inneres kann so ein Kampfplatz sein mit Mächten, die mir Angst machen.

Ich kann nicht erwarten, dass mich ein Lied gleich anspricht. Wenn ich ein Lied einmal singe, dann bleibt es im besten Fall ein flüchtiger Bekannter, meist aber eher ein Fremder, dessen Sprache ich nicht verstehe. Aber: Wenn jedes Lied nur meine Sprache spricht, wär das langweilig.

Mit einem Lied kann man Freundschaft schließen. Das geht nicht von heute auf morgen. Mit Freundinnen, Freunden verbringt man Zeit, Tage und auch Nächte. Mit ihnen geht man lange Wege. Und: Man lässt sie gerne in die Wohnung. Deshalb gehört das Gesangbuch in meine Wohnung: Ins Regal, auf den Nachttisch, in den Rucksack für Ausflüge und bei mir auch: aufs Klavier.

Mein Freund, das Lied, ist nicht aufdringlich. Er überredet mich zu nichts. Er wartet, dass ich ihm zur Sprache verhelfe. Ich gebe ihm Ton mit meiner Stimme. Und dann ist er es, der mir hilft, Worte zu finden, mich auszudrücken, der mich weiterbringt, mich erinnert, und: mir neue Horizonte öffnet.

Wir werden geprägt durch die Freundschaften, die wir pflegen. Lieder, die wir immer wieder singen, prägen sich ein: Dem Gedächtnis, dem Unterbewusstsein, der Seele. Und so ist mein Gesangbuch wie ein Freundschaftsbuch. Ich blättere, suche neue Freunde und probier aus: Ob die bisher noch fremden Lieder mir zu solchen werden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

(Inspiriert von Christa Reich, Evangelium: klingendes Wort)

03.01.2020
Florian Ihsen