Post-COVID - harren

Wort zum Tage
Post-COVID - harren
16.06.2021 - 06:20
10.06.2021
Florian Ihsen
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Ein Morgen Ende März. Ich will auf den Wochenmarkt fahren. Fühle mich irgendwie nicht ganz fit. Mache einen Schnelltest, bei dem rauskommt: Ich bin Corona-positiv. Und der PCR-Test bestätigt das. Zwei Wochen Quarantäne. Symptome, die sich verschlimmern, aber auszuhalten sind.  Freunde unterstützen mich, kaufen ein, stellen es mir vor die Wohnungstür. Auch die Pfarrerin meiner Gemeinde kommt vorbei, winkt mir aus der Ferne zu und wirft einen Gruß in den Briefkasten. 
Ich bin 45 Jahre jung, sonst eigentlich gesund, da wird das zwei Wochen dauern. Dachte ich. Hoffte ich. Schon nach 10 Tagen wurde ich negativ getestet; nach 14 Tagen aus der Quarantäne entlassen. 
Doch ich bin nicht einfach komplett genesen. Einige Symptome sind geblieben, über Wochen, zum Teil bis heute. Long- oder Post-Covid wird das genannt. Bernd Mössinger, Arzt und Spezialist für die Post-Covid-Behandlung, sieht vor allem zwei Patientengruppen: Die einen hatten einen schweren Verlauf und brauchen natürlicherweise lange, um sich zu erholen. Mehr Sorgen macht ihm die zweite Gruppe: Jüngere Patient*innen, zwischen 20 und 50, die im Frühjahr 2020 kerngesund waren und auch heute gesund aussehen, und die doch eingeschränkt bleiben. Die meisten leiden an einer Erschöpfung, die sie nicht mehr los werden. Und vor allem das ist schwer: Anderen zu erklären, was man hat; dass man nicht akut krank ist, sich aber auch nicht gesund fühlt.
Bei Jesaja lese ich: „Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden. (Jesaja 40,31)
Das nach dem „Aber“ wünsche ich mir für alle, die an den Folgen des Virus leiden, auch für mich selbst: Wieder Power und Tempo im Leben haben, Sport machen, laufen können und nicht gleich müde werden. Danach sehne ich mich. Nur: Wie geht das? Wo andere Bibeln mit „hoffen“ oder „vertrauen“ übersetzen, steht in der Luther-Übersetzung: „die auf den Herrn harren“; harren – ein altertümliches Wort, sperrig. Auf Gott harren klingt hart – und ist es auch.  Wie das Leben manchmal hart ist, wo keine Kraft und kein Trost mehr zu spüren sind. Dann heißt an Gott glauben vor allem: an Gott festhalten, irgendwie; auf ihn harren, ausharren, beharrlich sein. Und zulassen, wie müde das einen machen kann. Harren – heißt auch, damit umgehen und akzeptieren, dass die neue Kraft wohl eine andere sein wird als die frühere. Aber: Sie wird Kraft sein. 
(Quelle: Zeit: 15.4.21, Seite 13, Dossier)
 

Es gilt das gesprochene Wort.

10.06.2021
Florian Ihsen