Verwandlung eines Ortes

Wort zum Tage
Verwandlung eines Ortes
17.11.2020 - 06:20
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Wie sich diese Kirche doch verwandelt hat!

Mein Blick fällt auf den Kirchturm. Nur noch eine Ruine. Die Turmspitze - zerstört.

Zerstört durch die Bombenangriffe im November 1943.

Hohler Zahn, sagen die Berliner. Was für ein passender Ausdruck: ein kranker Zahn nach dem Bohren und einer schmerzhaften Wurzelbehandlung. Hier kann man sehen, hier kann man spüren, was Krieg anrichtet: Zerstörung, Schmerzen und Tod. Eine zerstörte Turmspitze im Zentrum der Berliner City West. Ein Mahnmal gegen den Krieg.

Am Anfang war das ganz anders.

Vor 125 Jahren wurde sie eingeweiht: Die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Eine Kirche zum Gedenken eines Kaisers! Eingeweiht am 01. September 1895, einen Tag vor dem Sedanstag; jenem Tag, an dem die Deutschen ihres Sieges im Krieg gegen Frankreich gedachten. Ein Tag des Triumphes über den sogenannten Erzfeind. Und diese Kirche sollte an den Triumphator erinnern, Kaiser Wilhelm I.

In der Gedenkhalle unterhalb des Turms ist diese Botschaft überdeutlich erkennbar: Ich erblicke ein Relief, wo Prinz Wilhelm als junger Leutnant in den Befreiungskriegen zu sehen ist. Auf der anderen Seite: Wilhelm, wie er während des deutsch-französischen Krieges zum Kaiser ausgerufen wird.

Triumphale Bilder. Kein Blick auf die Schmerzen und Leiden, die diese Kriege hervorgebracht haben, allein in der Schlacht von Sedan über 10.000 Tote. Kein Zeichen der Versöhnung mit den ehemaligen Feinden.

Was für eine Verwandlung hat diese Kirche durchgemacht!

Vom Symbol der Verherrlichung des Krieges zum Mahnmal gegen den Krieg. Gut, dass es diese Ruine gibt. Und gut, dass es in dieser Ruine ein Zeichen der Vergebung und der Versöhnung gibt.

In einer Ecke der Gedenkhalle steht eine Kopie des Nagelkreuzes von Coventry; jenes Kreuzes, das nach der Zerstörung der englischen Kathedrale aus den Nägeln des verbrannten Dachstuhls als Zeichen der Versöhnung aufgestellt wurde. Darunter lese ich die Worte: Vater vergib.

An diesem verwandelten Ort begreife ich aufs Neue: Krieg schafft Zerstörung, Leid und Schmerzen, Erinnerung und Vergebung aber schafft Versöhnung und Frieden.

Gut, dass es solche verwandelten Orte gibt. Man geht von dort anders weg, als man hingekommen ist.