Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Tyler Reynolds
Transgenerational
Morgenandacht von Pfarrerin Sandra Zeidler
02.08.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Wir stecken mitten in einem handfesten Generationenkonflikt: Generation Z gegen die Baby-Boomer. Letztere sitzen in der Regierung und in den Chefetagen, Erstere kleben sich auf die Straßen und Hauptverkehrsadern. Die Emotionen kochen hoch, es wird sich gegenseitig beschimpft und wenig konstruktiv geredet.

Wie war das eigentlich bei mir? Ich bin Jahrgang 1971 und damit zu jung für die Boomer und zu alt für die Generation Z. Meine Generation liegt irgendwo dazwischen, Generation X oder Generation Golf, benannt nach dem VW Golf, der in den 1980er Jahren beliebt war. Damit hat man uns ja Hedonismus vorgeworfen. Ich erinnere mich an heftige Diskussionen mit den Eltern über Mülltrennung, Atomkraftwerke und den Einzug der Grünen in den Bundestag.

Meine Eltern sind sogenannte Kriegskinder; mein Vater hat die Bombenangriffe auf Nürnberg erlebt, meine Mutter hat auf dem Land Not und Armut erfahren und die Sorge um den Bruder, der Soldat war. Auch dass man sich möglichst unauffällig verhalten soll, haben beide als Kinder verinnerlicht.

Diese Generation hat das zerstörte Deutschland aufgebaut, die Wirtschaftswunderjahre ermöglicht und auch genossen; die Kriegskinder haben die Demokratie gefestigt und den Frieden. Mein Eindruck ist aber auch, dass in dieser Generation viel verdrängt wurde, nicht angesprochen, schon gar nicht, was die eigenen Eltern in der Nazi-Zeit gemacht haben. Auch nicht, wie es einem selbst gegangen ist, als Kind zwischen Bomben und Bunkern und Angst, wenn man funktionieren musste und nicht zur Last fallen durfte, wenn die kindliche Not nicht wichtig war, weil die Eltern mit Überleben beschäftigt waren. Manchmal kommen die Trauer und die Tränen erst in der nächsten Generation zur Sprache.

Ich bin nicht nur Generation Golf, ich bin auch Kriegsenkel. Das beschreibt stärker die Verbindung zwischen den Altvorderen und den Jungen: bestimmte Verhaltensweisen, die Art, wie oder ob man über Dinge spricht, Familiengeheimnisse – all das wird ja bewusst oder unbewusst weitergegeben. Transgenerationale Weitergabe nennen das die Sozialpsychologen. Traumata sind da zuerst gemeint, schlimme unverarbeitete Erlebnisse; ich denke dabei aber auch an andere Verbindungslinien: der Konflikt zwischen den ganz jungen Schülerinnen und Studenten, den Um-die-20jährigen, die sich so vehement für den Schutz des Klimas einsetzen und den Oldies, meine Generation und älter, also denen, die jetzt Entscheidungen treffen in unserem Land. Die gegenseitigen Vorwürfe lauten: Ihr tut nichts gegen den Klimawandel, ihr habt so gut wie gar nichts getan bisher; und die Retourkutsche lautet ungefähr so: ihr provoziert nur, eure Form des Protestest bringt nur Ärger, sonst nichts.

„Alt werden ist wie auf einen Berg steigen“ sagt der schwedische Regisseur Ingmar Bergman. „Je höher man steigt, desto mehr Kräfte sind verbraucht, aber umso weiter sieht man.“ Das tröstet mich, denn meine Kräfte sind auch schon etwas verbraucht von den Bergtouren des Lebens. Ich merke aber auch, dass genau das mir einen anderen Blick verschafft auf die Dinge des Lebens. Einen tieferen, nachsichtigeren, weitherzigeren. Meistens jedenfalls. Ich weiß aber auch noch was von der Aufbruchstimmung, wenn es einen drängt, endlich alles anders zu machen als die Alten, die einen ausbremsen mit Sätzen wie: „Haben wir schon ausprobiert: geht nicht!“

Ich finde, es ist die Aufgabe der älteren Generation, die Jüngeren ernst zu nehmen. Sie als gleichwertig zu betrachten, gleich klug, gleichberechtigt, die Welt zu gestalten. Dann kann ich fragen, nachfragen, verstehen und vor allem, mich solidarisieren, statt zu kriminalisieren. Wenn ich mich das traue, kann ich mich einlassen auf neue Ideen. Was wir brauchen, ist nicht ein Generationenkonflikt, sondern Generationensolidarität.

Es gilt das gesprochene Wort.