Bellevue di Monaco. Hört sich an wie der Name eines romantischen Hotels am Mittelmeer: Bellevue di Monaco – persönlich eingerichtete Zimmer, freundliche Menschen, dazu eine wunderbare Aussicht. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem vielversprechenden Namen eine Initiative von Künstlern, Journalisten, Sozialarbeitern, Bürgern und Bürgerinnen der Stadt München. In einem ungenutzten Gebäude mitten in der Stadt wollen sie minderjährige Flüchtlinge willkommen heißen. Ein eigenes Zimmer sollen sie bekommen und freundliche Menschen, die ihnen zur Seite stehen und weiterhelfen in der neuen Heimat. Die jungen Flüchtlinge sollen eine gute Aussicht bekommen auf ihr neues Leben mit all seinen Möglichkeiten. Für Diskussionen gibt es im Bellevue di Monaco ebenso Platz wie für Konzerte, Lesungen, Theater und Workshops. Nach einem Jahr harter Verhandlungen kann der Traum jetzt wahr werden. Das Haus wird nicht abgerissen, sondern per Stadtratsbeschluss an die Initiative übergeben, die ersten Zimmer werden renoviert, der Kreis der Unterstützer und Unterstützerinnen wird immer größer. Das Bellevue di Monaco nimmt Gestalt an, und junge Flüchtlinge können bald im Herzen von München leben und sich wohlfühlen. Die Unterstützer glauben daran.
„Wer glaubt ist ein Flüchtling.“ Dieser Satz stammt von einem Flüchtling. Ahmad Milad Karimi heißt er. Mit 13 Jahren ist er mit seiner Familie aus Kabul geflüchtet. Zuerst nach Indien, dann nach Moskau, wo die Schlepper plötzlich verschwunden sind und die vierköpfige Familie monatelang im Ungewissen hockt, dann auf abenteuerlichen Wegen über Polen nach Deutschland, ins Auffanglager Schwalbach in Hessen. Der Junge Milad hat Glück: er wird in der Schule aufgenommen, er lernt und lernt und lernt und schließlich studiert er Mathematik, Philosophie und Islamwissenschaften. Heute ist der Mann mit der verwegenen Haartolle und dem verschmitzten Lächeln Professor an der Uni Münster.
Karimi sagt: „Wer glaubt, ist ein Flüchtling.“ Dieser Satz verändert die Perspektive und eröffnet neue Aussicht: Flüchtlinge sind nicht mehr nur die anderen, sondern alle Menschen, die an Gott glauben. Ich eingeschlossen. Karimi erzählt, dass die islamische Zeitrechnung mit einer Flucht beginnt, mit der Flucht des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina. Das arabische Wort „Hidschra“ bedeutet so viel wie ‚eine Bindung durchtrennen’. Mohammed bricht mit dem Alten, mit den Machtverhältnissen in Mekka, mit Kulten und Regeln. So wird die Flucht für den afghanisch-deutschen Professor zu einem Bild für die Befreiung von alten Bindungen. Karimi sagt: „Die Hidschra ist untrennbar mit der Erkenntnis verbunden, dass meine Heimat nicht hier oder dort ist, dass mich nicht meine Nationalität, meine Sprache, mein Stamm, ja meine Herkunft bestimmen. Beheimatet bin ich gerade in der Entbindung von allem, was mich scheinbar bindet.“[1]
Diese Sätze könnten genau so als Kommentar zum christlichen Erzählschatz formuliert werden. Da ist die Flucht der Heiligen Familie. Jesus war kaum geboren, da entscheidet der Diktator Herodes, alle Kinder unter zwei Jahren töten zu lassen. Ein furchtbares Pogrom beginnt. Joseph, Maria und das Baby fliehen nach Ägypten. Die klassische Flüchtlingsfamilie: sie fliehen vor Gewalt ins Nachbarland, ins Unbekannte, ohne Geld, ohne Habe, ohne zu wissen, ob sie zurückkönnen. Die erste Erfahrung im Leben des Kindes Jesus ist die Flucht, die Erfahrung, auf dieser Erde nicht ganz zu Hause zu sein.
„Wir haben hier keine bleibende Stadt“, so heißt es in der Bibel. Stimmt: alles verändert sich, nichts bleibt, wie es ist. Die Menschen, die zu uns kommen verändern München, sie verändern Berlin, Köln, alle Städte. Für mich sind das tolle Aussichten, weil etwas Größeres dahinter sichtbar wird: die Idee, das wir alle frei und ungebunden zusammenleben können.
[1] Ahmad Milad Karimi: „Osama bin Laden schläft bei den Fischen.“ Herder 2013, S.25