Wort zum Tage
So ein paar Silben können kränken
10.09.2018 06:20
Sendung zum Nachlesen

„Du hast mir nur ein kleines Wort gesagt und Worte kann man leider nicht radieren. Jetzt geht das kleine Wort mit mir spazieren und nagt.“

 

Mascha Kaléko hat diese Zeilen geschrieben. Mit leichter Hand rührt sie an eine schmerzliche Erfahrung. Eben glaubte man sich noch in trauter Zweisamkeit, aber dann kommt es zu einer Auseinandersetzung und unversehens landet da ein Giftpfeil im Herzen. Ein kleines Wort nur, aber ein verächtliches, herablassendes: „Dazu bist du zu blöd“, „Stell dich nicht immer so an“, „Na ja, so wie du aussiehst...“ Und das verpufft nicht im Äther. Das bleibt hängen und nagt: So sieht er mich also. Von oben herab: Blöd, hysterisch, aufgetakelt… Bin ich das? Oder sieht er mich eben doch gar nicht? Mit der kleinen Bemerkung jedenfalls hat er mich weggestoßen, gedemütigt – und damit bin ich nun allein. Da ist kein verlässliches „wir“ mehr zwischen uns beiden, da ist etwas eingestürzt.

„So ein paar Silben können kränken. Ob dies das letzte Wort gewesen ist?“ Mit dieser Frage endet das Gedicht von Mascha Kaléko. Nun, zum Glück ist es in vertrauten Beziehungen das letzte Wort meistens nicht gewesen. Zum Glück gibt es da noch andere Fäden, die sich wieder zusammenfinden – und manchmal sogar eine Entschuldigung:

Ich hab‘s nicht so gemeint. Da stellt sich dann die Frage: Wenn du es nicht so meinst, warum sagst du es dann? Aber die kann ich auch an mich selber stellen: Warum sage ich manchmal Dinge, die ich nicht so meine, jedenfalls bedaure – hinterher, wenn mir klar wird: Das muss den andern doch gekränkt haben. Es passiert im Ärger, wenn ich unbedingt recht haben will. Es passiert, wenn es mir gar nicht mehr um ein Gespräch geht, sondern nur noch darum, meine Überlegenheit zu behaupten. Es passiert, wenn ich – zugegeben – auf den andern gar nicht mehr achte, also tatsächlich: Ihn einfach nicht mehr achte als einen Menschen, der ist wie ich. Und dann sind diese kleinen Worte schnell gesagt, die wie Giftpfeile wirken, die lange weh tun. Nun schwirren solche Giftpfeile ja nicht nur in persönlichen Beziehungen herum. Sie werden mittlerweile millionenfach abgeschossen in den sozialen Netzwerken – die bösen, höhnischen Worte; und auch sie verursachen Verletzungen. Vielleicht sind sie gar nicht immer so gemeint. Vielleicht sitzen da nur viele allein mit sich vor ihren Laptops und wollen nur mal so richtig ihre Überlegenheit behaupten. Sie sehen den andern nicht, den sie mit Dreck bewerfen. Aber wenn du den andern nicht siehst und nicht achtest, wenn du verächtlich zu ihm sprichst – bist du dann nicht schon dabei, ihn zu vernichten?

Eine harte Frage. Jesus stellt sie in seiner Bergpredigt. (Matthäus 5,21)

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Mascha Kaléko, Kleine Auseinandersetzung, in: Mascha Kaléko, Das lyrische Stenogrammhft, Rowohlt, 1993 rororo 1784