Passion beklatschen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Guillermo Latorre

Passion beklatschen
von Ulrike Greim
20.03.2024 - 06:20
21.02.2024
Ulrike Greim
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Nach einer Passion klatscht man doch nicht! Nein, natürlich nicht, alle gut erzogenen Menschen wissen das. Nur sicherheitshalber lässt ein großer Chor in Thüringen das immer wieder ins Programmheft drucken, damit es auch die beherzigen, die nicht so kulturbeflissen erzogen wurden. Nach der Johannespassion von Johann Sebastian Bach wird nicht geklatscht. Denn da geht es um das Leiden Jesu. Da applaudiert man nicht, das wäre pietätlos.

Doch da ist nun diese neue Kantorin, und die macht ja manches anders, als es sonst war. Und die sagt doch tatsächlich, dass es diesen Satz dieses Jahr nicht im Programmheft braucht. Bitte? Ja, sagt sie. Wenn den Leuten nach Applaus zumute ist – ist doch großartig! Das ist ein Riesenkompliment an Chor und Orchester, dass da was wirkt.

Beim Weihnachtsoratorium hatten sie das – sogar als Szenenapplaus nach dem Eingangschor, einfach, weil es die Leute von den Sitzen gehoben hat. Toll, oder? Der Chor wusste nicht, ob er sich freuen darf, aber er war ja selber so aus dem Häuschen.

Ja, ja, sagt der Mann, der für das Programmheft zuständig ist, aber hier geht es um eine Passion. Es geht darum, dass wir mit Jesus mitleiden, seinen Kreuzweg mitleiden, solidarisch sind, solidarischer werden mit allen, die leiden. Da braucht es auch mal Stille. Das hat doch gerade eine hohe Qualität, wenn einmal ganz viele Leute in einem Raum stille sind, wenn die ganze Kirche betroffen schweigt. Das ist doch stark.

Ja, absolut, sagt die Kantorin. Dagegen ist nichts einzuwenden. Man möge nur bedenken: Die Johannespassion endet doch fantastisch. Da heißt es, mit Jesu Tod werde der Himmel aufgeschlossen und die Hölle zugesperrt. Ist das nicht unglaublich? Da dürfe man durchaus applaudieren.

Nun, sie lässt sich darauf ein, dass nach dem letzten Ton der Johannespassion die Glocken geläutet werden. Mag sein, alle sind berührt und andächtig und schweigen. Dann ist es gut. Kann aber auch sein, sie sind so bewegt, dass sie etwas loswerden müssen. Dann sollen sie das dürfen. Dann kommt es, wie es kommt.

Das Wort Passion bedeutet beides: Leiden und Leidenschaft. Die Passionszeit ist nicht nur Trauerzeit, sondern Zeit, unter all dem Gelernten und dem Richtigen und dem Erwarteten die Leidenschaft für das Leben wieder zu entdecken.

Es gilt das gesprochene Wort.

21.02.2024
Ulrike Greim