Wenn man die Aufgabe hätte, Menschen zu einer Großveranstaltung einzuladen, würde man sich das Motto dafür gut überlegen. „Wir müssen alle sterben“ käme wahrscheinlich eher nicht unter die Favoriten. Die Veranstalter des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der im Juni in Stuttgart stattfindet, sehen das anders. Sie haben als Losung für den Kirchentag ein Wort aus Psalm 90 ausgewählt: „Damit wir klug werden“. Das ist aber nur die eine Hälfte des Zitats. In der Bibel beginnt der Satz mit den Worten „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“
„Damit wir klug werden“ klingt auf jeden Fall positiver und einladender. Klug werden möchte doch jeder. Insofern ist das ganz bestimmt eine Motivation, um sich auf den Weg nach Stuttgart zu machen. In genau vier Monaten ist es soweit und am vergangenen Sonntag wurde dazu in vielen Gemeinden besonders eingeladen. Auf den Kirchentagsplakaten ist die Suchzeile mit dem Symbol der Lupe abgebildet, die uns im Internet jeden Tag viele Male begegnet. Dem evangelischen Kirchentag ging es schon immer darum, aus christlicher Perspektive und auf der Höhe der Zeit Antworten zu suchen auf die vielen Fragen, die das Leben stellt. Der Kirchentag hat Christinnen und Christen immer wieder geholfen, eine deutliche Position nicht nur in geistlichen Fragen, sondern auch und gerade zu aktuellen politischen Themen zu gewinnen.
Und weil es evangelisch ist, dass nicht einfach einer sagt, wie man die Sache zu sehen hat, waren das manchmal sehr mühsame Diskussionen. Aber noch niemand ist dümmer als vorher von einem Kirchentag nach Hause gekommen - sondern mindestens mit der Einsicht, dass es Fragen gibt, auf die man nicht so ohne weiteres eine Antwort finden kann.
„Damit wir klug werden“ – das ist eine motivierende Losung. Und wie sieht es mit dem Halbsatz vorher aus? „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen“, das ist die drastische Übersetzung Martin Luthers. In der Kirchentagsübersetzung heißt es etwas freundlicher „Unsere Tage zu zählen, das lehre uns“. Aber es geht um das Gleiche dabei: Wir zählen unsere Tage, weil sie schon gezählt sind, weil das Leben begrenzt ist. All unser Machen, Gestalten und Planen hat seine Zeit und irgendwann sein Ende. Wir sind gewohnt, das als Mangel zu empfinden. Aber im Leben geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität, um einen sorgfältigen Umgang mit unserer Lebenszeit, die nun einmal begrenzt ist. „Wir müssen alle sterben“, das macht sich schlecht auf Plakaten. Aber mich macht dieser Satz auch nachdenklich. Und dankbar für alles, was in meinem Leben gut ist und gelingt.