Der letzte Weihnachtsgruß

Morgenandacht
Der letzte Weihnachtsgruß
12.12.2019 - 06:35
18.07.2019
Florian Ihsen
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Was wünscht man sich, wenn man ahnt: Es ist das letzte Weihnachten in diesem Leben? Wenn hohes Alter oder ein aggressiver Tumor allen zu verstehen gibt: Die Zeit geht zu Ende. Oft bleibt diese Frage unausgesprochen. Aber jeder kennt sie, von Besuchen bei Sterbenden oder aus der eigenen Familie und dem Freundeskreis.

Mit dem letzten Weihnachten seines Lebens rechnet vor 75 Jahren auch ein junger Mann. Dietrich Bonhoeffer ist 38, verlobt und seit einem Jahr wegen Widerstand gegen das Hitlerregime in Haft. Die Lage hat sich verschärft. Die Gefahr ist im Advent 1944 größer als je zuvor, bald schon kann er zum Tode verurteilt werden. Das weiß Bonhoeffer, als er seinen Weihnachtsgruß an seine Lieben schreibt. Er beendet diesen Brief mit einem Gedicht. Mit Versen, die ihm in diesen Dezemberabenden eingefallen sind.

(1) Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

(2) Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.

(7) Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

 

Dieses Gedicht ist Bonhoeffers letzter Gruß an die Menschen, die er liebt. Für mich ist es zutiefst adventlich und weihnachtlich. Die guten Mächte, die unsichtbare Welt, die sich um uns weitet: das sind Wirklichkeiten, ist Realität. Die Bibel bezeichnet sie als „Engel“, sie erzählt davon rund um die Geburt Jesu. Engel – Boten wie jener, der Maria sagt: Du wirst schwanger und ein Kind gebären, und das Kind wird Gottes Sohn sein. Oder der Engel, der zu Josef spricht: Bleib bei Maria, das ist gut und richtig, auch wenn sie ein nichteheliches Kind bekommt. Oder jene guten Mächte, die in Bethlehem singen: Ehre sei Gott und Friede den Menschen.

Engel gehören heute zu jeder Advents- und Weihnachtsdekoration. Flügel, kindliche androgyne Gesichter, weiße Gewänder, Gold. Damit allein kann ich wenig anfangen.

Für mich sind es Bonhoeffers Worte, die den Engeln Sinn und Tiefe geben: Gute, unsichtbare Mächte, die von Gott herkommen, die mich begleiten auf meinem Lebensweg. Sie sind spürbar. Sie sind am Werk. Unsichtbar, und manchmal auch sichtbar, durch diesen und jenen Menschen. In Momenten, in denen ich glücklich und ausgelassen bin, kann ich sie wahrnehmen, die guten Mächte. Wenn ich an die dunklen Zeiten in meinem Leben zurückdenke, die ich irgendwie überwunden habe, fällt mir im Rückblick auf: Da bin ich doch noch irgendwie getröstet worden, da waren sie am Werk, die guten Mächte, die Engel, die Botinnen und Boten, mit denen Gott unsichtbar, spürbar in meinem Leben wirkt.

Manchmal spüre ich die guten Mächte auch, wenn ich mich erinnere an meine verstorbenen Lieben. Jetzt gehören sie für mich zu den guten Mächten dazu. Sie umgeben mich treu und still. Das tröstet mich, wenn rund um Weihnachten die Lücke weh tut, die sie hinterlassen haben.

Fürchte dich nicht. Sie sind unsichtbar zu allen Zeiten aktiv. Davon bin ich überzeugt. Auch an der Grenze zum Tod flüstern sie: Hab keine Angst, geh deinen Weg behütet und getröstet wunderbar, wir bleiben miteinander verbunden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Florian Ihsen